In die durch das sogenannte Kölner Urteil ausgelöste Kontroverse um die Beschneidung ist wieder Bewegung gekommen: nun liegt ein Gesetzesentwurf der deutschen Justizministerin vor (derstandard.at hat berichtet). Die Reaktionen überschlagen sich – überall, auch in den Standardforen.

Den Argumenten, dass die Beschneidung Gewalt am Kind sei, soll hier nicht grundsätzlich widersprochen werden. Doch ein abermaliger Blick zurück in die Geschichte mag angesichts historischer brachialer Gewalt helfen, die gegenwärtigen Argumente bedachter zu formulieren.

Anpassung und Furcht

Die derzeit kontrovers diskutierte Praxis der Beschneidung ist im Judentum das Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem erwählten Volk Israel, das Er mit Abraham im Kapitel 17 des Buches Genesis der Bibel festgesetzt hat. Doch bereits in der Antike war die Frage der Beschneidung oder Nichtbeschneidung mehrfach ein Thema. Im Zuge der Hellenisierung der Juden in Palästina unter griechisch-seleukidischer Oberherrschaft kam es zunächst zu teils seltsam anmutenden Maßnahmen der Assimilisierung der jüdischen Jugend der Jerusalemer Oberschicht. Die Episode der "selbstgemachten Vorhäute" im Gymnasium von Jerusalem (1 Makk 1,15) ist diesbezüglich ein wenig beachtetes, aber höchst spannendes Beispiel.

Beginn der Verfolgung

Der Hellenisierungsdruck verschärfte sich innerhalb weniger Jahre zusehends, erfasste nicht nur die Oberschicht, sondern die gesamte jüdische Bevölkerung und gewann zusehends den Charakter einer Verfolgung. Verantwortlich für diese Religionsverfolgung war der seleukidische König Antiochos IV., der den Beinamen Epiphanes, d.h. der "erschienene Gott", trug. In der biblischen Historiographie wie in der biblischen Apokalyptik (vgl. Buch Daniel) ist er einer der Bösewichte par excellence.

Nach dem Zeugnis des griechischen Historikers Diodor war Antiochos der mächtigste König seiner Zeit. Jedenfalls war Antiochos mit Laodike verheiratet, seiner eigenen Schwester, die zuvor schon mit seinen beiden älteren Brüdern, dem gleichnamigen Antiochos und dem Seleukos, verheiratet gewesen war, die der Reihe nach zu Tode gekommen waren. Kinder hat sie allen drei Brüdern geschenkt. Es steht den Lesern frei, sich über die Verwandtschaftsverhältnisse dieser Kinder untereinander Gedanken zu machen. Solche ehelichen Zustände mussten jedenfalls den zeitgenössischen Beobachtern als apokalyptisch erscheinen. Die von Antiochos initiierte Religionsverfolgung brachte es aber mit sich, dass u.a. jüdische Neugeborene unter Androhung der Todesstrafe nicht mehr beschnitten werden durften (1 Makk 1,48-51). In der Folge verzichteten viele jüdische Eltern auf die Beschneidung ihrer Kinder, sei es aus Furcht oder aus Anpassung an den griechisch-hellenistischen Way of Life.

Mehrjähriger Krieg

Die Verfolgungsmaßnahmen sowie insbesondere das Durchführen griechisch-paganer Kultriten lösten die so genannte "makkabäische Erhebung" aus, ein mehrjähriger Krieg der Juden gegen die griechische-seleukidische Oberherrschaft. Davon berichten die beiden biblischen Makkabäerbücher sowie der jüdische Historiograph Flavius Josephus ausführlich.

Der Krieg wurde angeführt von Mattatias, einem Landpriester aus dem aaronitisch-jojaribischen Priestergeschlecht, der sich in direkter Linie bis auf den Stammvater Hasmon zurückführen konnte, der seinerzeit aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückgekehrt war. Tatkräftig unterstützt wurde er von seinen Söhnen, von denen sich der drittälteste, Judas, im Kampf gegen die Seleukiden den Beinamen Makkaba, d.h. der "Hammer", erwarb; es fällt nicht schwer sich auszumalen, wie sich Judas in den Reihen seiner Feinde gebärdet hat. Jedenfalls wurde er zum archetypischen Anführer in der jüdischen Kriegsgeschichte.

Nebenbei sei hier bemerkt, dass mehr als zweitausend Jahre später auch General Ariel Sharon mit diesem Beinamen bedacht wurde: als im Jom-Kippur-Krieg die Ägypter mit einem Überraschungsangriff die Verteidigungslinien der in sich gekehrten und fastenden Israelis überrannt hatte, gelang es Scharon, in Eigeninitiative mit seinen Panzernschwadronen die ägyptischen Angriffslinien zu durchbrechen und half damit, eine drohende Niederlage Israels abzuwenden; seither gilt er in Israel als Held – als Makkabäer.

Alle unbeschnittenen Kinder wurden gewaltsam beschnitten

Der Krieg, also jener der Juden gegen die Seleukiden, führte schließlich zur Gründung eines unabhängigen, kulturell wie religiös konservativen jüdischen Staates, der unter der Führung der Nachkommen des Mattathias, der Hasmonäer, an die eineinhalb Jahrhunderte überdauern sollte. Man griff also zum Schwert, doch zunächst nicht um den Griechen die Gurgel durchzuschneiden, sondern um allen seit Beginn der Religionsverfolgung geborenen jüdischen Kindern, die unbeschnittenen geblieben waren, die Vorhaut abzuschneiden: "Mattatias und seine Anhänger zogen durch das ganze Land und rissen die Altäre nieder. Alle unbeschnittenen Kinder, die sie in dem Gebiet Israels fanden, beschnitten sie gewaltsam." (1 Makk 2,45f.)

Durch die Zerstörung der heidnischen Altäre wurde die kultische Reinheit des Landes wiederhergestellt. Dieser Vorgang erinnert an die Zerstörung der heidnischen Altäre im Lauf der Landnahme ein Jahrtausend zuvor (vgl. Ri 2,2); diese Parallelität ist sicherlich bewusst und die Verortung des Autors des 1. Makkabäerbuches nicht nur in hellenistisch-, sondern auch in biblisch-historiographischer Tradition wird offenkundig: ein heilsgeschichtlich bedeutsamer Akt, die Reinigung des verheißenen Landes von heidnischen Kultinstallationen, wurde literarisch wirksam wiederholt.

Zwangsbeschneidung: Aufnahme in das erwählte Gottesvolk

Die Zwangsbeschneidung der unbeschnittenen Kinder, die ebenfalls sofort zu Beginn des Aufstandes durchgeführt wurde, hatte daneben noch einen weiteren Aspekt. Einerseits ist die Anwesenheit von Unbeschnittenen im verheißenen Land per se ein Faktor der kultischen Verunreinigung. Andererseits waren die Kinder ohne Zeichen des Bundes, der Beschneidung, schlicht keine Mitglieder des Volkes.

Erst durch den gewaltsamen Vollzug der Beschneidung aller unbeschnittenen Kinder sind sie in das Volk aufgenommen worden und somit Teil des erwählten Gottesvolkes. Auch diese Handlung findet ihre Parallele in der Erzählung der Landnahme, nämlich in der Beschneidung der Israeliten bei Gilgal (Jos 5,2-9): Seit dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten waren keine Neugeborenen mehr beschnitten worden; nun, 40 Jahre später, als alle Männer, die seinerzeit ausgezogen waren, bereits verstorben waren, war das gesamte Volk unbeschnitten; nach dem Überqueren des Jordans, dem Betreten des verheißenen Landes, musste nun die Beschneidung nachgeholt werden; ohne dieses Bundeszeichen am Körper durften sie "das Land nicht schauen" (Jos 5,6*).

Heilsgeschichtliche Bedeutung des Aufstandes

Aus diesem Vergleich wird deutlich: Mattatias handelt als ein neuer Josua, der makkabäische Aufstand wird gleichsam als eine historische Parallele zur Landnahme wiedererzählt. Am jeweiligen Beginn steht die kultische Reinigung des Landes durch das Niederreißen der heidnischen Altäre und die Beschneidung aller Unbeschnittenen, wodurch Aufstand wie Landnahme in einen liturgischen Kontext gestellt werden. Der Autor von 1 Makk verwendet diese typologischen Parallelen bewusst, um die heilsgeschichtliche Bedeutung des Aufstandes herauszustreichen und mit jener der Landnahme gleichzusetzen. Landnahme und makkabäische Erhebung wirken wie eine Art Klammer um die Heilsgeschichte Israels im heiligen Land.

Dem militärischen Erfolg der makkabäischen Erhebung, der sich an der Befreiung Jerusalems und des Gebiets Juda messen ließ, folgte eine Ausweitung der militärischen Aktivitäten bereits unter Judas Makkabäus selbst, der als erster auch in nicht-jüdische Gebiete vorstieß. Grundsätzlich war diese Politik getragen von dem Wunsch, jüdischen Glaubensbrüdern in der allernächsten heidnischen Nachbarschaft zu Hilfe zu eilen. Mit der Eingliederung von Territorien, die mehrheitlich von Nicht-Juden bewohnt waren, ergab sich die Frage des Umgangs mit diesem Teil der Bevölkerung des sich entwickelnden und ständig vergrößernden hasmonäischen Staates.

Auch hier sollte Zwangsbeschneidung als "Integrationsmaßnahme" eine wesentliche Rolle spielen – doch das ist ein anderes Kapitel. (Friedrich T. Schipper, derStandard.at, 15.10.2012)