Wieselburg - Englisch steht auf dem Stundenplan. Die Past Tense holpert noch ein bisschen, geduldig bessert die Lehrerin ihre Schüler aus. Reihum üben sie englische Dialoge, auf den Tischen stapeln sich die Wörterbücher. Eine ganz normale Unterrichtsszene an einem ungewöhnlichen Ort: in einem Schulungsraum der Firma Zizala im niederösterreichischen Wieselburg. Und die jungen Leute, die hier sitzen, sind auch keine Schüler - zumindest nicht im klassischen Sinn. Sie machen zwar einen Maturakurs, eigentlich sind sie aber Lehrlinge bei Zizala und drei weiteren Unternehmen aus der Region.
Denn in Wieselburg versucht man sich gerade an einem bildungspolitischen und unternehmerischen Novum: Parallel zu ihrer Lehrzeit, konkret ab dem zweiten Lehrjahr, können die Auszubildenden Maturakurse besuchen. Und zwar (großteils) während ihrer Arbeitszeit. Jeden Freitag von 7.30 bis 16.30 Uhr drücken sie die sprichwörtliche Schulbank, die Lehrenden stellt das St. Pöltner Wirtschaftsförderungsinstitut (Wifi) zur Verfügung.
Sowohl für die Unternehmen als auch für die Lehrlinge sind die vier Kurse (Deutsch, Englisch, Mathematik, Wirtschaftswissenschaften), an deren Ende jeweils eine mündliche Prüfung steht, gratis. Zizala stellt den Raum und die Zeit zur Verfügung. Nur während der Berufsschulzeit können die Lehrlinge nicht in den Maturakurs kommen, dann gebe es aber Lerngruppen, und die jungen Leute seien untereinander sehr bemüht, sich auszuhelfen, erzählt man in dem Unternehmen.
Ein Drittel der gut 30 Lehrlinge des international tätigen Scheinwerfer-Herstellers macht bei dem Maturakurs mit - sie wurden in einem eigenen Auswahlverfahren ausgesucht. Mittlerweile gebe es eine Reihe von Anfragen anderer Unternehmen, sagt Zizala-CEO Hubert Schuhleitner. Warum sein Unternehmen das Projekt initiiert hat? "Wir können uns nicht immer über den Fachkräftemangel beschweren und nichts dagegen tun." 7500 Fachkräfte fehlen bereits jetzt in Niederösterreich, sagt Wirtschaftsbund-Direktor Harald Servus; angesichts geburtenschwacher Jahrgänge müsse die Lehre noch attraktiver werden, um dem entgegenzuwirken.
Gute Hauptschulen
Das Problem, dass gute Lehrlinge gesucht werden müssen wie die Nadel im Heuhaufen, kennt Schuhleitner eher von Erzählungen von Unternehmern aus den Ballungsräumen. "Wir haben in der Umgebung ausgezeichnete Hauptschulen, da gibt es sicher ein Stadt-Land-Gefälle." Dennoch: Eine Motivation für das Angebot, die Lehrausbildung mit der Matura zu kombinieren, sei es, das Unternehmen als Lehrbetrieb attraktiver zu machen.
Angst, dass engagierte Mitarbeiter ob ihrer Parallel-Ausbildung abwandern könnten, hat Schuhleitner nicht - zumal Lehrlinge mit Matura längst nichts Ungewöhnliches mehr seien: "Die Guten gehen ohnehin schon längst in die Abendschule. Und wenn jemand studiert und dann wieder ins Unternehmen zurückkommt, soll mir das nur recht sein." (Andrea Heigl, DER STANDARD, 11.10.2012)