Wien - Nach Ansicht des Wifo-Kapitalmarktexperten Thomas Url ist die von elf EU-Staaten geplante Finanztransaktionssteuer vor allem eine Maßnahme um die Steuerbasis auf Vermögenstransaktionen auszuweiten. "Ich würde davon ausgehen, dass man Spekulationen damit nicht bekämpfen kann, den Spekulanten lassen sich durch einen Steuersatz von 0,01 Prozent nicht abschrecken", sagte Url am Mittwoch.

Was die Steuer allerdings bewirken könnte, wäre eine Eindämmung des über spezielle Software abgewickelten Hochfrequenzhandels ("Sekundenhandel"), der künftig weniger profitabel würde. Dramatische Kursstürze bei einigen Aktien durch Amokläufe solcher automatischen Handelsprogramme wären dann nicht mehr möglich, sagte Url. Es gebe auch Bestrebungen der EU-Kommission, die Zeitintervalle beim Hochfrequenzhandel zu vergrößern, dadurch käme diese Art des Handels ohnehin völlig zum Erliegen, glaubt Url.

Wenig Hochfrequenzhandel

Für die Wiener Börse spielt der Hochfrequenzhandel "eine untergeordnete Rolle", wie Börse-Sprecherin Beatrix Exinger sagte. Von den insgesamt 100 Handelsteilnehmern an der Wiener Börse hätten sich nur knapp unter 20 zum Hochfrequenzhandel angemeldet. Der Aktienumsatz in Wien betrage rund 3,11 Mrd. Euro im Monat, davon mache der Hochfrequenzhandel nur einen geringen Bruchteil aus.

Während Wifo-Experte Url nicht damit rechnet, dass der Aktienhandel wegen der Finanztransaktionssteuer von Wien abwandern würde, weil es dafür geringe Ausweichmöglichkeiten gebe - "die voestalpine notiert ja nicht in Zypern, Helsinki oder Singapur" -, sieht Exinger diese Gefahr durchaus gegeben. Derzeit würden die Market-Maker eine Handelsgebühr von 0,01 Prozent bezahlen, dazu käme nach den ursprünglichen Plänen der EU-Kommission noch eine Transaktionssteuer von 0,1 Prozent, was eine Verzehnfachung der Kosten bedeuten würde, so Exinger. Die Börse lehne aber jede Form der Transaktionsbesteuerung ab, auch wenn der Aktienhandel nicht betroffen wäre.

Regierungen und Unternehmen außen vor

Die EU-Kommission hat bereits 2011 eine Finanztransaktionssteuer in Europa zwischen 0,01 und 0,1 Prozent vorgeschlagen. Sie verspricht EU-weit Einnahmen von etwa 57 Mrd. Euro jährlich, eine Einigung aller 27 Mitgliedstaaten gilt aber als ausgeschlossen, weil manche Länder Schäden für ihre Finanzplätze befürchten - so will Großbritannien seinen Finanzplatz London schützen und verweist auf seine bestehende "Stempelsteuer", eine Börsenumsatzsteuer für bestimmte Finanzprodukte.

Nach dem Kommissionsvorschlag sollen grundsätzlich alle Finanztransaktionen erfasst werden - also der Handel mit Wertpapieren, Anleihen, Derivaten und strukturierten Finanzprodukten. Die Emissionsmärkte (Primärmärkte) von Anleihen und Währungen sollen jedoch nicht besteuert werden, um die Kapitalbeschaffung von Regierungen und Unternehmen nicht zu erschweren. Laut Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) sollten auch außerbörsliche Umsätze miterfasst werden.

Eine Besteuerung von Finanztransaktionen hatte schon der US-amerikanische Wirtschaftswissenschafter James Tobin in den 1970er Jahren vorgeschlagen ("Tobin Tax"), er wollte damit Währungsspekulationen eindämmen. Eine Besteuerung des Währungshandels wäre aber nach Ansicht von Url kaum umsetzbar. "Das ist ein Markt, der mit einem einheitlichen Wertpapier 24 Stunden am Tag aktiv ist, das kann man nur weltweit besteuern, weil die Ausweichmöglichkeiten viel reicher sind als beim Aktienhandel", so der Kapitalmarkt-Experte.

Die Aufwirkungen der geplanten Steuer auf die Realwirtschaft wären bei einem geringen Steuersatz von 0,01 Prozent auf Derivate gering, so Url, obwohl sich die Finanzierung der Unternehmen etwas verteuern würde. Allerdings werde von den Steuer-Gegnern nicht zu Unrecht das Argument ins Treffen geführt, dass bei einem Wegbrechen des Sekundenhandels der Markt weniger liquide wäre und bei fehlender Liquidität die Transaktionskosten steigen würden. (APA, 10.10.2012)