Graz - Auf schlichten schwarzen Holzstühlen sitzen sie: Richter, Ermittlungsbeamte und Gefängniswärter. Durch ihre Entscheidungen starb ein junger Untersuchungshäftling. Nun sind sie die Angeklagten. Und das Publikum das Gericht. 1 hour 18 minutes: So lange dauerte der Todeskampf von Sergej Magnitski. Das gleichnamige Theaterstück der russischen Theatergruppe teatr.doc stellt einen Gerichtsprozess dar, den der Tote verdient hätte - der jedoch tatsächlich niemals stattgefunden hat.

Medizinische Hilfe verweigert

Magnitski deckte im Jahr 2008 einen Wirtschaftsskandal auf, doch anstatt die Verantwortlichen festzunehmen, verhaftete die russische Polizei ihn selbst. Über ein Jahr lang wurde der Anwalt in Untersuchungshaft gefoltert und missbraucht. Nachdem Magnitski, der über Schmerzen klagte, jede medizinische Hilfe untersagt worden war, starb er im November 2009 in einem Moskauer Gefängnis - auf den Boden gekauert, an Händen und Füßen gefesselt.

Die Erstaufführung des Theaterstücks im deutschsprachigen Raum fand am 29. September im Rahmen des Steirischen Herbsts in der Grazer Thalia statt. Nacheinander lässt Regisseur Mikhail Ugarov die Darsteller vortreten und sich zum Fall Magnitski rechtfertigen: den um Mitleid bittenden Ermittler, die kaltblütige, sich unschuldig fühlende Ärztin und die arrogante Richterin. Die alltäglichen Kostüme, das fast leere Bühnenbild und die einfache Beleuchtung stehen stark im Kontrast zur Komplexität des Stücks. Den grandios spielenden Schauspielern gelingt es trotz der russischen Sprache und den nicht immer synchronen Untertiteln, die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.

In der Inszenierung geht es letztlich vor allem um Menschlichkeit. Als Magnitski während seiner Haft nach einem Glas heißem Wasser verlangte, lehnte der Richter mit einer fadenscheinigen Begründung ab. Nun verlangt im Theaterstück der Richter nach Wasser. Er bekommt es nicht - er habe es nicht verdient.

Regisseur Ugarov rechnet in 1 hour 18 minutes mit der russischen Justiz ab. Er prangert ihr verräterisch korruptes Verhalten bei Wirtschaftsskandalen an und zeigt auf, wie kritische, politisch aktive Bürger strategisch "vernichtet" werden. In der Realität wurde jedoch niemand wegen des Falles juristisch belangt. (Sarah Hofbauer, DER STANDARD, 10.10.2012)