Was machen die skandinavischen Köche besser als die österreichischen? Die Tester Martina Hohenlohe, Alexander Bachl und Severin Corti im Gespräch.

Foto: http://hanshochstoeger.com

"Das ist ein altes Phänomen: Wir haben kaum Köche, die stilbildend sind - und gar keine, die internationale Strahlkraft haben." Alexander Bachl

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"Ich habe kürzlich einen französischen Koch gefragt, was er von der österreichischen Küche hält. Er hat gesagt: 'Bitte, was ist das?'" Martina Hohenlohe

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STANDARD: Warum gilt es in Österreich als okay, 100 Euro für ein Ticket im Musikverein auszugeben, aber als dekadent, 100 Euro für ein Menü zu bezahlen?

Martina Hohenlohe: Weil Spitzengastronomie für viele Menschen etwas Affiges hat.

Severin Corti: Sie ist halt auch oft affig.

Hohenlohe: In Österreich hat sie immer was Überkandideltes, es gibt eine große Hemmschwelle: Da steht immer einer da, der mir Wein nachschenkt, auch wenn ich das nicht will, da muss ich mich fesch anziehen - das verunsichert. Das ist etwas, das die Skandinavier kapiert haben: Dort bekomm' ich Spitzenküche serviert in T-Shirts, Jeans und Converse.

Corti: Und das Service-Personal dort weiß ganz genau, was es da serviert. Die können dir diese Gerichte auch ernsthaft nahebringen, die erzählen was, die können mit dem Gast auf Augenhöhe kommunizieren und sind nicht bloß Personal, sondern echte Persönlichkeiten. Man isst im Noma, dem angeblich besten Restaurant der Welt, und die nehmen dich in aller Lockerheit auf eine Art wahr, dass du dir nach dem Essen denkst: Wäre cool, mit den Herrschaften jetzt noch einen heben zu gehen. Sagt mir, wo in Österrreich ist das der Fall?

Alexander Bachl: Da haben wir ein Bildungsproblem. Viele Gastronomen sagen, was da an Personal daherkommt, kann nicht einmal "Guten Tag" sagen. Die behelfen sich mit deutschem Personal - mit dem Effekt, dass man tatsächlich besser bedient wird.

STANDARD: Frau Hohenlohe, demnächst erscheint der neue Gault Millau. Sie postulieren im Vorwort, dass Österreichs Köche nach Skandinavien blicken. Wie äußert sich das?

Hohenlohe: Was wir festgestellt haben, ist, dass da eine ganz starke junge Riege kommt. Die Alten können sich echt anschnallen. Die Jungen orientieren sich an ausländischen Küchen, an ausländischen Topköchen, das ist deutlich merkbar und auch schmeckbar.

Corti: Bitte, wo sind die? Ich finde ein paar ganz sporadische Einzelerscheinungen, aber etwas, das sich als Gruppe wahrnehmen lässt, die eine Idee gemeinsam verficht wie die New Nordics in Skandinavien, das sehe ich nirgends.

Hohenlohe: Ich tu mir vor Erscheinen des Guide etwas schwer, Namen zu nennen. Grundsätzlich: Bei der New Nordic Cuisine geht's ja nicht ausschließlich um kompromisslose Regionalität. Es geht um viele Techniken, etwa Fermentieren oder niedrige Garzeiten, um die zentrale Rolle von Gemüse. Mit den Techniken hapert's bei uns noch ein bisserl, aber es wird viel probiert. Gemessen an dem, was es bisher bei uns gab, ist das ein Trend.

Corti: Im Gault Millau gibt es an die 500 Haubenlokale, demnach müsste Österreich doch ein Paradies des guten Essens sein. Wenn ich aber, wie man so sagt, fein essen gehe, finde ich in der überwältigen Mehrheit ein irrsinnig formelhaftes, fades Nachkochen des Immergleichen.

Bachl: Das ist ein Phänomen, das wir hier schon sehr lange haben, das trifft Deutschland ja auch: Wir haben kaum Köche, die stilbildend sind und gar keine, die internationale Strahlkraft haben.

Corti: Die Wiener Küche ist bei uns weltberühmt. Nur, wenn ich davon im Ausland erzähle, heißt es stets: Okay, fette Torten und große Schnitzel, aber sonst? Tafelspitz, Schnitzel, Kaiserschmarrn - hat alles seine Berechtigung, aber kann uns das als Tourismusnation reichen? International passiert derartig viel, da wird Essen als Teil der Kultur wahrgenommen. Wir versäumen diesen Zug komplett. Das Denken ist extrem unterentwickelt in österreichischen Küchen.

STANDARD: Woran liegt das denn?

Hohenlohe: Ich sehe das nicht ganz so. Wir haben schon gute Leute, da gibt es Potenzial. Sicher, es gibt eine gewisse Trägheit, und unsere Köche stehen unter solchem wirtschaftlichen Druck, dass sie ihren Gästen zu wenig zutrauen. Es fehlt der Mut zum Risiko, aber das ist auch irgendwie verständlich in Zeiten wie diesen.

Bachl: Es fehlt der Mut, etwas Eigenes zu machen. Aber wir haben auch eine bürokratische Verhinderungsstruktur. In London kann man schnell einmal etwas aufklappen: Das Dabbous, eines der wohl spannendsten Restaurants der vergangenen Jahre, wurde in einem ehemaligen Copyshop installiert. Bei uns scheitern viele Projekte daran, dass Leute etwas machen möchten, sich aber allein mit den Umbaukosten so verschulden müssten, dass es nicht geht.

Corti: Auch bei uns gibt es Pop-up-Restaurants, wo zum Teil mutige Dinge passieren. Nur: Hier stehen diese Leute sehr schnell mit ein bis zwei Füßen im Kriminal. Ein zweites Problem ist die Bildung. Wir haben ein dramatisches Problem, sowohl bei den Köchen als auch im Service, dass die Leute provinziell geschult sind, sich international, wenn, dann nur in Deutschland umschauen - oder bei österreichischen Kollegen in USA. Sie wissen zuwenig, was anderwo los ist. International entsteht ein großes Netzwerk, in dem Australier, Koreaner, Peruaner mit Europäern gemeinsam überlegen, wie es weitergehen kann. Und wir sitzen da in unserer deutsch-österreichischen Suppe.

Bachl: Dabei haben wir mit dem Hangar-7 einen einzigartigen Vernetzungspunkt zur Welt. Bloß: Den müsste man besser nutzen, auch für mehr internationalen Austausch. Man kennt uns nicht.

Hohenlohe: Das stimmt. Ich hab kürzlich einen französischen Koch interviewt und ihn gefragt, was er von der österreichischen Küche hält. Er meinte nur: "Bitte, was ist das?"

STANDARD: Jetzt leben Sie alle eher davon, dass Sie Lokale empfehlen, nicht davon, sie zu kritisieren. Sind die heimischen Zustände auch ein Kritikerproblem?

Corti: Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn ich dreimal hintereinander etwas schärfer bin, bekomme ich Zuschriften von Lesern, die fragen: "Wozu soll ich das lesen? Ich will wissen, wo ich hingehen soll, nicht, wo es nicht schmeckt." Das ist sicher ein großer Unterschied etwa zu England, wo Kritiker legendär scharf sind und wo die Leute das auch erwarten und Spaß an einem guten Verriss haben. Das tut der Szene natürlich gut.

Hohenlohe: Man darf aber nicht vergessen, was man mit einem Verriss anstellt. Da hat jemand viel Geld investiert, und dann macht man das mit einer Kritik vielleicht nicht kaputt - aber man richtet einen ordentlichen Schaden an.

Corti: Wie ist das bei Theater- und Opernkritik? Da geht es genauso um Schicksale. Natürlich haben wir Verantwortung, aber die Verantwortung des Testers ist zuerst den Lesern geschuldet. Er kann nicht tun, als ob etwas gut wäre, auch wenn er nicht davon überzeugt ist. Der Gast ist ja auch kein Trottel.

Hohenlohe: Mir geht's da um neue Lokale. Ich habe Kritiken für den Kurier gemacht, und da hatte ich oft Skrupel: Da hat ein Wirt vor einer Woche aufgesperrt, ich donner dort hinein, esse und mach den fertig. Damit hab ich ein Problem. Wir haben auch kritische Berichte im Guide, aber von Lokalen, die es schon lange gibt.

Bachl: Was verrissen wird, sind eher Lokale, die auch Ankündigungspolitik betreiben. Wenn ein Lokal sich mit einer PR-Maschinerie oder einer Preisvorgabe die Latte selbst hoch legt, dann muss man diese Latte auch als Messpegel verwenden. Dann ist eine schlechte Kritik gerechtfertigt oder gar notwendig.

Corti: Ein themenführender Guide wie Gault Millau muss da schon auch in die Pflicht genommen werden. Alle Jahre werden dieselben Figuren abgefeiert, und wenn einer kopiert, ist es auch egal. Das ist doch ein Signal, dass wir Essen als kulturelles Phänomen nicht ernst nehmen. Es kann nicht nur darum gehen, dass es schmeckt, diese "Hat's eh passt?"-Mentalität steht einer Neuerfindung unserer Küche im Weg.

Hohenlohe: Es ist für beides die Berechtigung da, niemand von uns will jeden Tag essen wie im Noma. Aber das, was Sie beschrieben haben, tun wir nicht. Wir sind sicherlich der kritischste Führer, der in Österreich am Markt ist.

Corti: Aber ein Menü, in dem tierisches Protein von Anfang bis Ende die Hauptrolle spielt, wird nicht kritisiert.

Hohenlohe: Natürlich wird das kritisiert, und ein Koch wie Reitbauer (Steirereck, Anm.) wird absolut hochgehoben. Da sind von acht Vorspeisen sechs vegetarisch, und die sehen alle aus wie Gemälde. Sie müssen einfach den Gault Millau genauer lesen.

Corti: Ich lese ihn eh brav.

STANDARD: Was könnte man denn machen, um die österreichische Küche zu verbessern?

Hohenlohe: Ich weiß nicht, woran das liegt bei den Österreichern, aber das Netzwerken ist einfach ein Problem. Auch untereinander. Ich habe nicht das Gefühl, dass die wahnsinnig viel miteinander kommunizieren. Wenn die sich einfach einmal zusammensetzen und besprechen würden, wo es eigentlich hingehen soll. Ein gastronomisches Alpbach wäre angebracht.

Bachl: Köche brauchen eine ordentliche betriebswirtschaftliche Ausbildung, sodass sie in der Lage sind, auch ein Lokal zu führen. Viele unserer Spitzenköche können das nicht und flüchten in eine Anstellung.

Corti: Die Ausbildungsinstitutionen müssen sich der Welt öffnen, etwa durch verpflichtende Auslandssemester - und nicht nur in Deutschland -, um aus der eigenen Suppe herauszukommen. Bei uns gibt es die Fantasie, dass die ganze Welt unsere Küche schätzt. Tatsächlich fahren Leute, die gut essen wollen, längst woanders hin. Auch die Bevölkerung muss etwas anderes kommuniziert bekommen, als es etwa die Ama tut: 'Hauptsache Fleisch', in einem Land, in dem ohnehin schon dreimal am Tag Fleisch am Tisch steht. Das kann's ja wohl nicht sein.

STANDARD: Könnte es denn so was wie eine "New Austrian Cuisine" geben?

Hohenlohe: Sicher. Es wäre Zeit, es wäre Platz, es wäre Potenzial da. Was fehlt, ist der Mut und die Lobby.

Corti: Es ist nicht so schwierig. Wir müssen uns nur vor Augen halten, was bei uns vorhanden ist, wofür das Land steht und daraus etwas entwickeln. Wir sind ein Gebirgsland, ein Land der Almen, ein Land des Heus, ein Land der Milch. Wo ist Milch ein Thema in unserer Hochküche? Eine ernsthafte Beschäftigung mit den Formen der Milch findet leider nicht statt. Oder Räuchern. Das ist eine klassische Konservierungsart in Österreich, die man sehr vielfältig durchdeklinieren kann. Eine geräucherte Milch etwa - wo wir gerade dabei sind- aber auch mit Gemüse lässt sich viel anstellen. Es gibt ein reiches Erbe. Wir müssen nur den Mut haben, es neu zu denken. (Tobias Müller, Rondo, DER STANDARD, 12.10.2012)