Othenio Abel unterstützte als Rektor 1932/33 den Nazi-Terror an seiner eigenen Uni.

Foto: Uni Wien

Der paläontologische Seminarraum, in dem Professoren um Othenio Abel ihre konspirativen Sitzungen abhielten.

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Es ist gerade einmal ein paar Monate her, dass man am Geozentrum in der Althanstraße einer ruhmreichen Vergangenheit gedachte und das Jubiläum "100 Jahre Paläobiologie" feierte. Der eigentliche Anlass für die Festveranstaltung am 11. Mai: Im Jahr 1912 erschien das Buch "Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere" von Othenio Abel, der damit einer neuen Subdisziplin zum Durchbruch verhalf.

Den einleitenden Vortrag hielt Erich Thenius, 88-jähriger Professor emeritus für Paläontologie, der Othenio Abels Leben und Werk, aber auch die Arbeit seiner Schüler ausführlich würdigte. Bei Abel herrschte an wissenschaftlichen Verdiensten kein Mangel: Der 1875 geborene Forscher brachte es in seinen 71 Lebensjahren auf 280 Publikationen, davon allein 20 Bücher.

Abel, hierzulande als Erforscher der Bärenhöhle bei Mixnitz in der Steiermark bekannt, war international angesehener Ehrendoktor der Universitäten Kapstadt und Athen sowie Mitglied diverser Wissenschaftsakademien. Erst vor wenigen Jahren wurde Abel auch von renommierten Evolutionsbiologen wie Ulrich Kutschera zum Begründer der Paläobiologie geadelt - entgegen der vorherrschenden Annahme, dass diese Fachrichtung erst lange nach 1945 in den USA erfunden worden sei.

Sind die wissenschaftlichen Leistungen Othenio Abels recht gut aufgearbeitet, fehlen in den meisten Würdigungen (so auch bei der im Mai) Hinweise auf die dunkleren oder besser: braunen Seiten der Forscherpersönlichkeit. Dieser Mangel ist insofern verständlich, als auch von den Universitätshistorikern Abels Rolle als einer der einflussreichsten Antisemiten und Nazis an der Uni Wien vor 1934 bis jetzt unaufgearbeitet blieb - und das, obwohl sich die politischen Fehltritte eines Konrad Lorenz im Vergleich zum Überzeugungstäter Abel als eher harmlos ausnehmen.

Im Gegensatz zu Lorenz, der kein Antisemit war, dürfte bei Abel der Hass auf Juden schon früh ausgeprägt gewesen sein. So war er bereits als Student bei antisemitischen Uni-Ausschreitungen anlässlich der Badeni-Krise 1897 aktiv mit dabei. Universitätspolitisch so richtig einflussreich wurde er dann allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg.

Der angesehene Professor war von der Furcht beseelt, dass es am Beginn der Ersten Republik zu einer Art Machtübernahme der "Kommunisten, Sozialdemokraten, und mit den beiden verbündet Juden und wieder Juden" (O-Ton Abel) kommen könnte. Tatsächlich radikalisierten sich nach 1918 die Zustände an Österreichs Hochschulen allerdings vor allem wegen der deutschen Studentenschaft, deren antisemitische Übergriffe an physischer und psychischer Gewalt weit über das hinausgingen, was man bis dahin kannte. Die Opfer waren vor allem jüdische Studenten aus den ehemaligen östlichen Kronländern, die nach Wien gekommen waren.

Abel setzte sich nicht nur gegen die (ost-)jüdischen Studenten ein, sondern entfaltete an der philosophischen Fakultät, die damals alle Geistes- und Naturwissenschaften umfasste, auch entsprechende personalpolitische Aktivitäten. Die freilich mussten eher im Geheimen stattfinden, da offene Diskriminierungen dem Gleichheitsgrundsatz widersprochen hätten.

Wie im Juni erstmals im Standard berichtet, gründete Othenio Abel deshalb ein geheimes Netzwerk aus insgesamt 18 christlichsozialen und deutschnationalen Professoren, die sich in unipolitischen Fragen koordinierten. Diese Geheimclique operierte unter dem Decknamen "Bärenhöhle", der sich wiederum von einem Seminarraum am Institut für Paläontologie herleitete, wo sich die Professoren trafen.

Verhinderung von Karrieren

Abel und seine geheimen Mitstreiter ließen sich in Habilitations- und Berufungskommissionen nominieren, mischten sich in etliche Personalentscheidungen erfolgreich ein - vor allem, um jüdische und linke Forscher daran zu hindern, Karriere zu machen. Das gelang zum Beispiel bei den aufstrebenden Physikern Karl Horovitz, Otto Halpern oder Hans Schiller, die alle drei bereits vor 1927 Österreich verließen.

Ähnlich ging es in der Biologie zu, wo auf Betreiben Othenio Abels die jüdische Zoologin Leonore Brecher und ihr Kollege Paul Weiss mit ihrem Habilitationsgesuch scheiterten. Weiss machte ab 1929 in den USA Karriere und wurde einer der einflussreichsten Neurobiologen seiner Generation; Leonore Brecher wurde 1942 im weißrussischen Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet. Mindestens so aussichtslos wie in der Physik und der Biologie war die Lage für jüdische Forscher in den Geisteswissenschaften. Wegen Aussichtslosigkeit versuchten es viele (wie etwa der Philosoph Karl Popper oder die Physikerin Marietta Blau) erst gar nicht mehr mit einem Antrag auf Lehrbefugnis.

Bleibt ein Einwand gegen das behauptete antisemitische Netzwerken von Abel und Kollegen: Wenn jüdische Forscher nach 1920 nur mehr in Ausnahmefällen Karriere machten, warum konnten nach dem Anschluss immer noch so viele von den Nazis entlassen werden? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass von den 98 nach 1938 Entlassenen dieser Fakultät nur gut ein Drittel jüdischer Herkunft war. Und fast zwei Drittel von diesen knapp 35 Forschern war bereits 1924 an der Uni Wien beschäftigt. 1924 gab es hingegen noch mindestens 45 jüdische Uni-Angehörige, also rund ein Drittel mehr als 1938.

Bereits ziemlich nationalsozialistisch ging es im Studienjahr 1932/33 zu, als Abel Rektor war, seine Sympathie für die Braunhemden offen zur Schau stellte und dem Terror der Nazi-Studenten freien Lauf ließ. So waren im Oktober bei den regelmäßigen Prügeleien vier jüdische Medizinstudenten aus den USA verletzt worden, und Abel musste peinlicherweise beim US-Botschafter Abbitte leisten. Dafür ließ er in einem Nazi-Blatt erwidern, dass man sich nicht so aufregen solle, da doch 87 der 120 US-Medizinstudenten in Wien Juden seien. Zum Beweis wurden alle 87 Namen abgedruckt.

Unter Abels Rektorat kam es freilich auch zum gewaltsamen Bruch zwischen Braun und Schwarz, die noch in der Bärenhöhle so gut koaliert hatten. Abels Schlägertrupps verprügelten erstmals auch katholische Studenten, was sogar innenpolitische Nachwirkungen hatte. Für ihn selbst waren die Folgen eher unangenehm: Unter den Austrofaschisten wurde er 1934 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und musste eine Professur in Göttingen antreten, was ihn angeblich sehr schmerzte.

"Mein schönster Augenblick"

Große Freude kam erst auf, als er am 12. März bei einem Heimatbesuch sah, wie an seiner Alma Mater das Hakenkreuzbanner entrollt wurde: "Das war der schönste Augenblick meines Lebens", ließ er wenige Tage später verlauten. 1941 erhielt er als Trost zusammen mit anderen von den Austrofaschisten frühpensionierten Nazi-Professoren die Ehrensenatorenwürde der Uni Wien, die von den Nazis eingeführt wurde. 1944 sollte ihm auch noch die Goethe-Medaille zuerkannt werden, da er "bereits in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg im Kampf gegen die drohende Verjudung und Überfremdung an der Wiener Universität stets in der ersten Reihe" zu finden war, wie es im Empfehlungsschreiben hieß.

Knapp 40 Jahre später wurde dann ein anderer Preis nach dem großen Forscher und Antisemiten benannt, der 1946 etwas verbittert in Mondsee starb. Der eingangs erwähnte Erich Thenius, Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), stiftete den seit 1985 vergebenen und mit 3700 Euro dotierten Othenio-Abel-Preis der ÖAW, der an die Verfasser einer ausgezeichneten Publikation auf dem Gebiet der Paläobiologie oder für das Lebenswerk in der Paläontologie vergeben wird.

Auch aufgrund des STANDARD-Texts vom Juni über die "Bärenhöhle" entschied die ÖAW in der Vorwoche, dass es zwar weiterhin einen Preis für ausgezeichnete Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Paläobiologie geben wird. Dieser Preis wird allerdings nicht länger Othenio-Abel-Preis heißen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 10.10.2012)