Verkehrte Welt: Während in Barcelona eine Million Katalanen lautstark die Unabhängigkeit fordert, träumen die Italiener von der Rückkehr zum Zentralstaat. Die ausufernden Skandale in den Regionalparlamenten haben Autonomie und Föderalismus zu Reizworten degradiert. Die Regierung will nun die Gunst der Stunde zur Rücknahme der Verfassungsreform von 2001 nutzen, mit der die Regierung von Giuliano Amato damals der sezessionistischen Lega Nord den Wind aus den Segeln nehmen wollte.

Die Reform gewährte den Regionen große Freiheiten. Rasch verfügten sie über größere Macht als der Zentralstaat, konnten Vertretungen im Ausland eröffnen und internationale Abkommen unterzeichnen. In vielen Regionen hielten Nepotismus und Verschwendung Einzug. Besonders im Süden gebärdeten sich etliche Gouverneure wie Satrapen und umgaben sich mit einem Heer von Beratern.

Fast ungehindert konnten Regionen wie Sizilien mit beispielloser Klientelwirtschaft einen Schuldenberg von fünf Milliarden anhäufen.

Der Wildwuchs sorgte für krasse Unterschiede: Obwohl die Lombardei doppelt so viele Einwohner hat wie Sizilien, verfügt das Inselparlament über die meisten Volksvertreter. Und die Gouverneure von Sizilien und Sardinien verdienen mehr als etwa US-Präsident Barack Obama.

Reform der Reform

Nun hat die Regierung drastische Maßnahmen beschlossen: Die Zahl der Abgeordneten wird reduziert, die Gehälter jenen der Toskana angepasst, wo die Deputierten mit 4800 Euro am wenigsten verdienen. Zwingen kann die Regierung die Regionalräte freilich nicht, weil ihr dazu die Befugnis fehlt. Sie müssen die Kürzungen selbst beschließen - doch unter dem Druck der Skandale hat sich die Konferenz der Regionen bereits darauf geeinigt.

Am Dienstag verabschiedete der Ministerrat die Verfassungsreform im Eiltempo. Damit sie wirksam wird, benötigt sie allerdings die Zweidrittelmehrheit des Parlaments. Gelingt das Hasardspiel, könnte auch der bisher unantastbare Sonderstatus Siziliens und Südtirols zur Diskussion stehen.

Dementsprechend sieht die Südtiroler Landesregierung bereits harte Zeiten auf sich zukommen. Sie will vorerst zwei Dekrete der Regierung von Mario Monti vor dem Verfassungsgerichtshof anfechten, weil die autonomen Zuständigkeiten beschnitten worden seien, wetterte kürzlich Landeshauptmann Luis Durnwalder. Der SVP-Politiker war Ende September in Wien, um sich nochmals der Schutzmachtfunktion Österreichs zu versichern, sollte Rom bei Plänen zur Beschneidung der Autonomie tatsächlich Ernst machen. (mu, DER STANDARD, 10.10.2012)