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Inna Schewtschenko samt Motorsäge bei der Eröffnung des Femen-Schulungszentrums in Paris.

Foto: Francois Mori/AP/dapd

Alles will gelernt sein - Wächter täuschen, über Autos springen oder mit einem Griff sein T-Shirt herunterreißen. Letzteres sei gar nicht so leicht, lacht Inna Schewtschenko auf dem knallroten Sofa des Pariser Theaters Lavoir Moderne. Die 22-jährige Mitbegründerin der ukrainischen Organisation Femen erzählt, was man sonst noch alles beherrschen muss, um eine moderne Feministin zu sein.

Sie selbst ging zum Beispiel zwei Tage lang bei Holzfällern in die Lehre. Am 17. August, als in Moskau das Urteil gegen die Punkerinnen von Pussy Riot erging, fällte sie sodann mit der Motorsäge fachgerecht ein hohes Holzkreuz auf einem Platz in Kiew.

In Paris, im ersten Stock des Lavoir, baut die Femen-Mitbegründerin nun mit lokaler Hilfe ein Ausbildungszentrum für Feministinnen auf. Eingeweiht wurde es mit einem Barbusigen-Marsch durch das umliegende Einwandererquartier La Goutte d'Or. Wie Marsmenschen zogen die schreienden, halbnackten Europäerinnen durch das pulsierende Klein-Afrika von Paris, wo Malierinnen am Trottoirrand Ignam-Kartoffeln und Kochbananen verkaufen. Doch der Kontakt klappte. "Viele stellten Fragen, mehrere Afrikanerinnen sagten uns, eigentlich würden sie sich unserem Kampf gerne anschließen."

Derzeit ist es im Lavoir etwas ruhiger geworden. In einer Sitzecke des sonst leeren Übungsraumes diskutieren junge Frauen auf Englisch. Das Thema sei Sextourismus, sagt Inna; Journalisten dürfen aber nicht zuhören. An allen Wänden prangen Graffitis: "Unsere Feinde: die sexuelle Ausbeutung, Diktaturen, Religion", darunter das Femen-Credo: "Unser Gott ist die Frau, unsere Mission ist der Protest, unsere Waffen sind bare Brüste."

Trainingscamp

Und hier in diesem "internationalen Trainingscamp" für Feministinnen, wie es Inna nennt, erhalten die Suffragetten der modernen Zeit also ihre Nahkampfausbildung? Ha ha, sagt Inna und erzählt als Antwort, wie sie und ihre Mitstreiterinnen Ende 2011 in Weißrussland von "KGB-Agenten" verschleppt worden seien. Mit Säcken über dem Kopf seien sie nachts in einen Wald geführt worden, wo ihnen die Kerle bedeutet hätten, sie sollten tief durchatmen - "zum letzten Mal". Etwas später hätten sie die Frauen laufen lassen.

In U-Haft ist Inna schon mehrmals geprügelt worden - dagegen wappnet man sich besser. "Gegenüber Sicherheitsleuten muss man schnell reagieren können; deshalb erhöhen wir zum Beispiel mit Ballspielen unsere Reflexe. Zwei Tage in der Woche joggen wir und halten uns fit mit Liegestützen."

Unter anderem üben sich die angehenden Femen-Frauen auch im Entkleiden. "Klingt dumm, aber vor laufenden Kameras muss jede Geste sitzen", meint Inna, die bei ihrem ersten Auftritt selbst große Mühe hatte, ihr Oberteil abzustreifen. "Am Strand würde ich mich nie oben ohne sonnen", meint sie fast eine Spur verlegen. "Bei unseren Aktionen fühle ich mich nicht nackt. Mein Körper ist meine Uniform. Wir sind die Soldatinnen des Feminismus, auch wenn wir zu hundert Prozent friedlich sind."

Die Kameras anziehen

Dass neue feministische Impulse aus der Ukraine kommen, sei kein Zufall: "Wir mussten in unserem Land bei null beginnen und alles selbst erfinden. Nach zwei Jahren feministischer Debatten, die niemanden interessierten, kamen wir drauf, wie wir die TV-Kameras anziehen konnten." Dass sie das Spiel der Medien mitspielten, bestreitet Inna: "Unser Körper ist eine politische Botschaft, die lautet: Wir sind frei, unser Körper gehört uns."

So wild die "Femenistinnen" auftreten, so einstudiert sind ihre Aktionen. "Wir sind Profis im Erarbeiten von Drehbüchern", sagt Inna. In die Ukraine zieht sie es vorläufig nicht zurück, sie kümmert sich lieber um das Trainingscenter in Paris, dazu um Femen-Ableger in Brasilien, den USA oder Tunesien. "Ich liebe mein Land, aber heute tragen wir den Kampf in die ganze Welt hinaus." (Stefan Brändle, DER STANDARD, 10.10.2012)