Ben Becker (hier 2010 bei einem Auftritt in der Wiener Stadthalle) gibt in seinem ersten Programm als Sänger im Wiener Konzerthaus nicht nur Johnny Cash oder Nick Cave, sondern auch traurige Balladen aus eigener Feder.

Foto: Robert Newald

In seinem Programm, das im Wiener Konzerthaus seine Premiere erlebte, zeigt der Mann Steherqualitäten. Ein bisschen viel Ben Becker ist Ben Becker natürlich auch.

Wien - Es muss verdammt anstrengend sein, Ben Becker zu sein. Ben Becker. Der irre Piefke aus den Seitenblicken. Der Tod im Jedermann. Salzburger Festspiele. Der Clown in krachledernen Sepplhosen, für die sich selbst der verkommenste "Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein"-Tourismusmanager zu gut wäre. Ben Becker, der Klaus Kinski für Arme.

Du komm mir bloß nicht blöd! Stinkefinger Richtung Kameras. Immer voll auf die Zwölf. Ben Becker ist fünf Meter groß. Alles ist wichtig. Ben Becker ist total wichtig. Ben, Ben, der Ben. So geht das. Rund um ihn dreht sich alles. Probier Ben Beckers Schuhe an. Es ist nicht leicht, in ihnen zu gehen.

Ende der Nullerjahre: Heroin, Nahtoderlebnis, Rehaklinik. Buße, Blanktaste. Neustart. Endlich clean, geläutert. Schmerzen erlitten, Schmerzen verursacht. Schlechtes Gewissen. Schuld und Sühne. Aber nur ein bisschen. Bald schon wieder - aber jetzt auf Volksdroge numero uno - Abstürze, Randale, Durst und Blöd-Zeitung. Drei Schritte vor - und keiner zurück. Leben, gierig nach Leben! Doch halt.

Irgendwie kommt das nicht mehr so krass wie früher. Ben zweinullzölf ist nicht mehr immer in Berlin. Wegschießcity. Nur Stress. Partystadt macht keinen guten Kopf mehr. Familienglück jetzt auch in Salzburg-Innergebirg. Goldegg. Der See lacht. Die Sonne lacht am Steg. Ben jauchzt vor Glück. Nacktbaden, lass uns nackt baden. Mit der Liebsten, mit dem Kind. Ben hat im Sommer geheiratet. Er hat über das, was war und was ist und wie es sein soll, Lieder geschrieben.

Heute abend endlich ist Premiere, Auftakt einer Ochsentour durch Schland. Ob das gutgehen wird? Jetzt heißt es tapfer sein.

Das Publikum jedenfalls will das Konzert feiern. Ben hat es schon vorher getan. Wenn einer sich so lange kaputtmacht, bis die Leute "Toll, das ist ein Stehaufmann, der hat das alles überlebt" sagen, dann kann er genauso gut damit weitermachen. Es muss zwar verdammt anstrengend sein, Ben Becker zu sein. Gelernt aber ist schließlich gelernt.

Musiker staksen im Halbdunkel auf die Bühne. Im Ornat einer Gedächtniskapelle zu Ehren des daheim in Westberlin noch immer verehrten Krähenkönigs Nick Cave geht es im harmonisch einfachen Duktus eines Trauermarsches gleich von der Bar in die Notaufnahme:

Alles geht in Rauch auf und Über den Wolken von Berlin, zwei selbstgeschriebene Lieder, "Schaangsongs" oder Balladen im Stil des Krähenkönigs, trägt der sicherheitshalber gleich von Beginn weg auf einem Barhocker wie ein angeschlagener Boxer im Eck hängende Ben Becker mit einer Stimme vor, die daran erinnert, wie es klingt, wenn man im Winter bei Minusgraden einen alten Lastwagen starten will. Leider macht der Motor nur keckernde Geräusche. Scheiße, trockener Hals. Lieber erst mal bisschen Weißwein nachlitern.

Die zwei Frauen in der Band haben sich mit ihrem süßlich-pickerten und gleichzeitig sadistisch-schneidenden Barockengerlchören einen schönen Trick ausgedacht, um dem Star des Abends helfend unter die Arme zu greifen. Während Ben Becker gleichzeitig die Nervosität, sein fliehendes Haar, den Mikroständer und die rutschende Hose im Auge behalten muss, schleppt sich die Band träge durch getragene, abgelebte Melodien, die mit Klavier, Kontrabass, Beserlschlagzeug und Gitarren relativ schmucklos interpretiert werden.

"Herr, es ist getan"

Ben Becker memoriert brav die Texte und raucht dazu dramatisch Kette. In den USA würde jetzt die Nationalgarde wegen Giftgasterror gegen die Bevölkerung die Bühne stürmen, in Wien kalmiert Ben Becker die Situation mit einem in dieser Stadt beinahe alles entschuldigenden Bekenntnis: " Ich bin tierisch angesoffen."

Ben Becker röchelt, keckert, lacht. Alles gleichzeitig. Ein Schluck noch. Der Übergang von Weiß auf Rot wäre jetzt fein, ist gerade so gemütlich hier. Der Bann ist endlich gebrochen. Ben Becker singt von Papua-Neuguinea und davon, dass der Sturm zu Ende sei. Bei Hurt von Johnny Cash schauen kurz die Sanitäter rein zur Tür, ob auf der Bühne alles okay ist. Weiter geht es mit "Ich will dich nacktfotografieren, will sehen, wie du wirklich bist" und Schwarze Frau, die Gott gesehen hat und über einem zackigen Afrobeat nach Revolution schreit. Danach geht Ben Becker baden. Im See.

Bevor der heiter-tragödische Abend mit Nick Caves Weeping Song und der Loreley einem versöhnlich-traurigen Ende entgegenwinzert, läuft Ben Becker tatsächlich noch zur Hochform auf. Seine Eindeutschung des Selbstmörderlieds Heit drah i mi ham von Georg Danzer zu "Heute fahr' ich nach Haus, schneid mir die Pulsadern auf" nimmt dem in der Version Wolfgang Ambros' bekannten Original das anlassige katholische Selbstmitleid und bringt eine prostestantisch-fleißige Note ins Endspiel: "Herr, es ist getan." Guter Mann, der Ben Becker. Auch wenn er ein wenig viel ist. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 10.10.2012)