Die islamische Bevölkerung Österreichs wuchs in den letzten vier Jahrzehnten von nahezu null auf etwa sechs Prozent. Diskussionen um das Kopftuch, um eigene Regeln für muslimische Mädchen im Turnunterricht, um getrennte Bäder für islamische Frauen, um besondere Rücksichten im medizinischen Bereich oder um den Bedarf an Infrastruktur illustrieren die Notwendigkeit des Dialogs auf Basis konkreten Wissens.

Ich will keine Vorurteile haben, ich suche richtige Information

Seit über 20 Jahren sammle ich auf Dienstreisen Bücher islamischer Islamgelehrter in islamischen Ländern. Im Prinzip steht überall dasselbe drinnen: "Der Islam ist mehr als eine Religion."

Die Bücher beschreiben ein umfassendes Regelwerk für das Leben der Muslime. Eine vorbildhafte Gesellschaft nach dem Koran und dem Leben des Propheten Mohammed (bis in alle Einzelheiten überliefert laut derislam.at) soll entstehen. Klare Regeln, was erlaubt ist, was verboten, samt Sanktionen für Übertreter schon im Diesseits.

Zitierbare Wahrheiten

Regelmäßig besuche ich auch Diskussionveranstaltungen, um auch hier Fakten zusammenzutragen und in der Folge zu verstehen, welche Bedeutung die islamische Ordnung für die gesamte Gesellschaft in Österreich hat und haben könnte.

Oftmals mache ich dabei die Erfahrung, dass Islamvertreter die Informationen, die ich über die Jahre gesammelt habe, in Frage stellen. Einmal brachte ich bei einer Veranstaltung zum Thema Integration in Linz ein, dass es doch eine wichtige Regel des Islam sei und von einem guten islamischen Familienvater zu befolgen sei, seine Kinder von der in unserer Gesellschaft weit verbreiteten Gottlosigkeit, sexueller Beliebigkeit und Alkohol fernzuhalten. Außerdem habe doch der Familienvater zu verhindern, dass seine Töchter Nichtmuslime heiraten. Eine islamisch gekleidete Frau aus dem Publikum nickte mir bei dieser Wortmeldung zu. Tarafa Baghajati am Podium tat sie als Unsinn ab.

Daher bin ich seit Jahren auf der Suche nach einer bindenden Antwort und frage immer wieder Islamvertreter nach einer schriftlichen Quelle auf Deutsch, die mir zitierbare Wahrheit über die islamische Ordnung vermittelt. Zuletzt Anas Schakfeh im Mai dieses Jahres: "Es gibt noch kein Buch, aber ich schreibe bald eines."

Zwischen Mitte und Extremen

Es gibt doch ein Buch: "Erlaubtes und Verbotenes im Islam" von Jusuf al-Qaradawi. Dieses Buch war jahrelang offiziell Schulbuch in Österreich. Der Autor ist der in der islamischen Welt bekannteste Fernsehprediger und Gelehrte. Er ist also weder obskur noch radikal.

Er erklärt den Islam gemäß eines Weges der Mitte zwischen Extremen. Das Buch gibt es auf Deutsch im Internet. Eingangs empfiehlt hier der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich das Buch. Am Ende findet man das Bundesgesetzblatt vom 19. August 1983 über den Islamunterricht. Ganz konkret Lehrinhalt ist "Die Islamische Verhaltensweise für die Männer". Und "Die Islamische Verhaltensweise der Frauen" und "Allgemeine Verhaltensweisen der Moslems".

Zum "Benehmen der muslimischen Frau" sagt uns der Gelehrte auf Seite 143: "... sich nicht auf solche Weise in die Gesellschaft von Männern zu begeben, dass körperlicher Kontakt entsteht oder Männer Frauen berühren, wie das heute oft in den Kinos, Universitäten, Hörsälen, Bussen, Straßenbahnen usw. geschieht. Maqual ibn Jasser berichtet, dass Allahs Gesandter (der Prophet Mohammed) gesagt hat: 'Es ist besser, dass einer von euch mit einem Eisenstachel in den Kopf gestochen wird, als eine Frau zu berühren, die man nicht berühren darf.'" Im Februar 2012 zitierte ich diese Sätze bei einer Integrationsveranstaltung mit Staatssekretär Kurz an der Uni Linz. Er meinte: "Ich kenne das Buch, so etwas Rückständiges werde ich nicht dulden."

Ist die islamische Gesellschaftsordnung in Österreich verboten?

Zu dieser absurd anmutenden Frage kommt man, wenn man die Geschichte dieses Schulbuches erfährt. "Irgendwann schaute einer in das Buch hinein", erklärte mir vertraulich ein zuständiger Beamter. Man entdeckte, dass das Buch "der staatsbürgerlichen Erziehung" widerspreche. Um einem Verbot zuvorzukommen, wurde es zurückgezogen.

Ist das nicht unglaublich? Alle rühmen sich der Religionsfreiheit und preisen das Islamgesetz aus der Monarchie, und gleichzeitig lässt derselbe Staat nicht zu, dass islamische Kinder und Jugendliche den Islam in seiner ganz konventionellen Form unterrichtet bekommen! Ist es nicht dringend an der Zeit, Missverständnisse durch eine klare Darstellung der islamischen Ordnung auszuräumen?

Islam in Österreich ist gleich Islam in Pakistan?

Vor wenigen Monaten erklärte Anas Schakfeh in Linz: "Man kann den Islam in Österreich und Deutschland nicht wie in Pakistan formulieren." Im Sinn eines zivilisierten Dialogs ohne Vorurteile ersuche ich daher die Islamvertreter, Einzelpersonen wie Organisationen, zusammenhängend zu erklären, welche islamischen Inhalte für sie in Österreich Gültigkeit haben. Denn dass der Islam beliebig "auslegbar" ist, glaube ich nicht. (Edgar Pree, Leserkommentar, derStandard.at, 10.10.2012)