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In Deutschland verboten, in Österreich erlaubt: Nebenjobs für Verfassungsrichter und -richterinnen. Über ihre mögliche Befangenheit richten sie selbst.

Foto: apa/pfarrhofer

Schwarze Verfassungsrichterroben verdecken allerhand. Die Verfassungshüter treffen als Richter grundlegende Entscheidungen; sie können abseits der Gerichtsmauern aber auch als Anwälte für Mandanten kämpfen, in Gremien von Großkonzernen sitzen, Gewinne abschöpfen: Unvereinbarkeitsregeln gibt es für sie nicht. Für Berufsrichter ist das unvorstellbar und laut dem Rechtsexperten Theo Öhlinger weltweit einzigartig. "Rechtspolitisch ist das höchst bedenklich", sagt Heinz Mayer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Obwohl Kompetenzen und Arbeit des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) enorm zugenommen haben, wurde die in den 20er Jahren konstruierte Nebenberuflichkeit ohne Unvereinbarkeitsregeln bis in die Gegenwart gerettet. Zum Vergleich: 1950 wurden 303 Fälle an das Gericht herangetragen, im Vorjahr waren es 4.400. Öhlinger hält diesen Zustand angesichts der Arbeitsbelastung für "längst überholt".

Besonders das Beispiel zweier aktueller Richter zeigt, welches zweifelhafte Geflecht von politischen und wirtschaftlichen Beziehungen und Interessen aus der Laissez-faire-Politik erwächst.

Vollzeitrichter mit Nebenbeschäftigung

Im Juni 2011 stellte sich Christoph Herbst, damals Chef des skandalgeschüttelten Flughafens Wien, den Fragen der Bundesräte. Es war die letzte Hürde, um auf dem Verfassungsrichtersessel Platz zu nehmen. Nach dem Hearing - es wird auch nach der Vereinbarkeit mit anderen Berufen gefragt - sagte Bundesratspräsident Gottfried Kneifel (ÖVP) gegenüber der "Presse", dass der Kandidat zugesagt habe, Vollzeitrichter zu sein und keine Nebenbeschäftigungen auszuüben.

Ein Jahr später ist von derlei Zurückhaltung bei dem engen Vertrauten von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) wenig zu merken. Der Wirtschaftsanwalt ist nun zwar nicht mehr Flughafen-Chef, jedoch weiterhin Geschäftsführer der Kanzlei Herbst Kinsky. Gemeinsam mit seinen beiden Kompagnons leitet er ein Team von neun Rechtsanwälten. Öhlinger bezeichnet es als problematisch, dass VfGH-Richter gleichzeitig als Anwälte arbeiten: "Hier kann sehr schnell ein Konflikt auftauchen." Neben Herbst sind auch die Verfassungsrichterinnen Eleonore Berchtold-Ostermann und Sieglinde Gahleitner als Anwälte aktiv.

Herbst hat seit seiner Angelobung etwa das Land Burgenland in Verbindung mit der umstrittenen Privatisierung der Bank Burgenland vor dem Europäischen Gerichtshof vertreten. Der Wiener Anwalt war selbst von 2000 bis 2006 Aufsichtsratschef der Bank. Er ist aktuell auch der Rechtsbeistand von Siegfried Grigg, wie ein Sprecher der Grazer Wechselseitigen Versicherung (Grawe) bestätigt. Grigg ist Vorstand der Grawe und war zum Zeitpunkt des Verkaufs der Hypo-Alpe-Adria an die Bayerische Landesbank Vorstandschef der Kärntner Hypo.

Zudem war Herbsts Kanzlei bis Ende Juli zu einem Drittel an der Politik-Kommunikationsberatungsagentur Policon beteiligt - betrieben von Christoph Pöchinger und Martin Standl, den vormaligen Pressesprechern von Justizministerin Karin Gastinger (BZÖ) und Verkehrsminister Hubert Gorbach (FPÖ/BZÖ). Schon im November 2011 gab es in Pöchingers Privat- und Büroräumen eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit Gastingers Vorzugsstimmenwahlkampf 2006, der mit Geld der Telekom Austria finanziert worden sein soll. Gastinger und Pöchinger bestreiten das. Wie DER STANDARD berichtete, ermittelt jetzt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen Anstiftung zum Bruch des Amtsgeheimnisses. Was Standl und Pöchinger zurückweisen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Mit 31. Juli sind Herbst und seine Kanzlei aus der Beratungsagentur ausgestiegen. Nach wie vor sitzt er in den Aufsichtsräten mehrerer niederösterreichischer Wohnbaugesellschaften (Austria, WET und Gebau-Niobau), der sogenannten NÖ-Wohnbaugruppe. Für die Genossenschaft NBG wirkt er als Stellvertreter des Vorstandsobmanns. Südlich von Wien errichten und verwalten diese Gesellschaften Wohnungen, Geschäftslokale und Garagen, derzeit 25.000. Hauptaktionär der Dachgesellschaft EWU AG (auch hier sitzt Herbst im Aufsichtsrat) ist die Hypo Niederösterreich.

Personalunion "sehr heikel"

Claudia Kahr ist seit 1999 Verfassungsrichterin. Davor saß die Juristin im Kabinett mehrerer SPÖ-Regierungsmitglieder, 1997 wurde sie unter Caspar Einem im Verkehrsministerium Sektionsleiterin für Verkehrspolitik und Verkehrsplanung. Im Sommer 2010 hievte Doris Bures (SPÖ) sie schließlich in den Chefsessel des Aufsichtsrats der staatlichen ASFINAG. Die Personalunion von Verfassungsrichterin und Aufsichtsratsvorsitzender der Autobahngesellschaft hält Mayer für "sehr heikel". Denn der VfGH habe ständig mit Verfahren zu tun, die die staatliche Gesellschaft in irgendeiner Form betreffen. "Das ist von außen oft nicht nachvollziehbar, ob eine Entscheidung für die ASFINAG interessant ist oder nicht", sagt Mayer.

Doch neben ihrem Richteramt soll Kahr nicht nur den staatlichen Straßenbauer kontrollieren, der jährlich ein Milliardenbudget verwaltet (6,8 Milliarden Euro bis 2017), sie ist zugleich mit einer knappen halben Million Euro an einem der größten Baustoffhersteller des Landes beteiligt, der Knoch, Kern & Co. KG. Die Entwicklung der sogenannten Wietersdorfer Gruppe, des drittgrößten Unternehmens in Kärnten, beinflusst Kahr als Mitglied des Gesellschaftsrats, des Strategie- und Entscheidungsgremiums der weit verzweigten Gesellschaft. 2011 erwirtschaftete die Gruppe mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in 28 Ländern einen Gesamtumsatz von 680 Millionen Euro.

Eine der Gesellschaften, die W & P Zement GmbH, verweist in ihren "Referenzen" auch auf Straßenbauprojekte. Doch wie sagte Verkehrsministerin Bures angesichts der Kritik an Kahrs Bestellung vor zwei Jahren? "Es ist eigenartig, wenn es gelingt, eine Topfrau zu gewinnen, mit Unvereinbarkeiten zu hantieren, die bisher keine Rolle spielten."

Auch ein weiterer Verfassungshüter ist momentan Aufsichtsrat eines Unternehmens: Michael Holoubek bei den Wiener Stadtwerken. "Für die Unabhängigkeit und Objektivität des Verfassungsgerichtshofs ist das nicht gut", sagt Heinz Mayer, weil die Tätigkeit als Aufsichtsrat die Verhaberung fördere und die Richter zwangsläufig mit wichtigen Wirtschaftsleuten in Berührung kämen.

Kein Zubrot für Richter in Deutschland

Diesen Sommer ist der VfGH von den ungeliebten Räumlichkeiten der Böhmischen Hofkanzlei an die Freyung umgezogen, ebenfalls in der Wiener Innenstadt. Festgast bei der Eröffnung am 1. Oktober war Andreas Voßkuhle, der Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das mit seiner Entscheidung über den Euro-Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt europaweit wochenlang im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.

Im Gegensatz zu den österreichischen Kollegen sind die Richter in Karlsruhe nicht eng mit dem Wirtschaftsleben verbandelt. Sie sind für ausschließlich zwölf Jahre bestellt. Eine berufliche Tätigkeit abseits des Gerichts ist ihnen verboten. Einzige Ausnahme: die Lehre des Rechts an einer Hochschule. Alles andere gilt für Verfassungsrichter in Deutschland als unvereinbar.

Anders in Österreich: Hier wird es als befruchtend gesehen, dass Richter mit einem Fuß im Höchstgericht und mit dem anderen im Wirtschaftsleben stehen. Nur Verwaltungsbeamte müssen, bevor sie zu Richtern werden, außer Dienst gestellt werden. Einmal zu Verfassungsrichtern bestellt, scheiden sie erst mit 70 Jahren aus dem Amt. Sie dürfen weiterhin ihrem bisherigen Beruf nachgehen und - falls es sich ergibt - neue Jobangebote annehmen.

Der Präsident erhält für seine Tätigkeit am Verfassungsgerichtshof eine "Entschädigung" von rund 14.300 Euro brutto im Monat. Die Vizepräsidentin und jene Richter, die zu "Ständigen Referenten" gewählt wurden, derzeit sind das elf Richter, bekommen rund 12.800 Euro. Richtern ohne diese Funktionen stehen monatlich 7.100 Euro zu.

Erfahrung durch Andocken an die Wirtschaft

derStandard.at hat sich um eine Stellungnahme der Richter bemüht, die als Anwälte arbeiten oder in Aufsichtsräten sitzen. Richtersprecher Christian Neuwirth sagt stellvertretend, dass sich die Richter, die in Aufsichtsräten sitzen, dadurch ans Wirtschaftsleben angedockt fühlen: "Sie finden das für ihre Arbeit im Verfassungsgerichtshof sehr wertvoll." Und die Rechtsanwälte "sehen die juristische Welt durch ihre Praxis ebenfalls von einer zusätzlichen Seite".

Ihre zusätzlichen Einnahmequellen müssen die 14 Verfassungsrichter nicht offenlegen. "Dem VfGH-Präsidenten ist sicher nicht bekannt, welche Fälle ein Rechtsanwalt, der Richter ist, in seiner Kanzlei liegen hat und ob es Berührungspunkte gibt", sagt Öhlinger. Ein Ablehnungsrecht steht den betroffenen Parteien nicht zu. Ob ein Richter in einer Causa befangen ist, entscheidet er demnach selbst. Es hänge letztendlich davon ab, wie genau das der einzelne Richter nimmt, sagt Mayer. "Da gibt es eben Leute, die halten sich nie für befangen."

Richtersprecher: Befangenheiten können gegeben sein

Auch Neuwirth räumt ein, dass Befangenheiten gegeben sein können. "Die Verfassungsrichter legen bei Fragen der möglichen Befangenheit einen strengen Maßstab an", sagt der VfGH-Sprecher. "Haben sie auch nur geringste Zweifel, erklären sie sich für befangen und werden durch ein Ersatzmitglied ersetzt." Die Gefahr von Interessenkonflikten bestehe nicht.

Das Vertrauen in das Wohlverhalten der Richter soll ausreichen? Springt bei Befangenheit tatsächlich immer eines der sechs Ersatzmitglieder ein? Zumindest eine VfGH-Entscheidung aus dem Jahr 2002 lässt daran zweifeln. Unter den Richtern, die über eine Beschwerde der Bank Austria abstimmten, war auch Vizepräsident Karl Korinek. Der saß zu dem Zeitpunkt im Aufsichtsrat der Konkurrenz, nämlich der Erste Bank. "Da haben die Befangenheitsregeln offensichtlich nicht funktioniert. Er hätte sich enthalten müssen", sagt Mayer.

Korinek ist 2008 aus Gesundheitsgründen zurückgetreten. Auf Anfrage von derStandard.at sagt der ehemalige VfGH-Präsident, er könne sich an den besagten Fall nicht mehr erinnern. "Hätte ich aber Zweifel gehabt, ob ich befangen bin, hätte ich mich mit Sicherheit für befangen erklärt. So habe ich das immer gehalten."

Rzeszut: Ganze Kraft ins Richteramt

Transparency-International-Vorstand Johann Rzeszut war selbst bis Ende 2006 Präsident des Obersten Gerichtshofs, er sagt gegenüber derStandard.at: "Das Richteramt, egal auf welcher Ebene, ist so wichtig, dass man seine ganze Kraft in den Beruf stecken sollte." Zu den Verfassungsrichtern, die derzeit aktiv sind, will sich Rzeszut nicht äußern, weil er selbst zwar in unterschiedlichen Funktionen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit tätig gewesen sei, nicht aber am VfGH.

Er sieht aber grundsätzlich und daher auch für Verfassungsrichter "eine beträchtliche Gefahr, dass durch die Übernahme berufsexterner Aufgaben Abhängigkeiten des Richters entstehen, die geeignet sein können, eine ausschließlich sachliche Ausrichtung der richterlichen Entscheidung unmittelbar oder mittelbar oder auch nur dem Anschein nach zu gefährden". (Stefan Hayden, derStandard.at, 10.10.2012)