Berlin - Die Schmerzgrenze sei endgültig erreicht, findet der promovierte Geograf Thomas Bürk - und meint damit die katastrophalen Arbeitsbedingungen an deutschen Universitäten. Die Fakten sprechen für sich: 85 Prozent der deutschen Wissenschafter müssen sich mit befristeten Verträgen abfinden. Zum Vergleich: In Großbritannien beträgt der Anteil nur 35 Prozent, in den USA sind es lediglich 17 Prozent. "Viele Akademiker denken bei Prekarisierung an Sklavenverträge oder Leiharbeit", meint Bürk: "Oftmals realisieren sie gar nicht, dass sie bereits selbst davon betroffen sind."

So entschied sich Bürk, selbst aktiv zu werden. Gemeinsam mit einem Dutzend anderer Erstunterzeichner veröffentlichte er Ende Juli einen Aufruf an Nachwuchswissenschafter, ausgeschriebene prekäre Arbeitsstellen künftig zu boykottieren. Mittlerweile haben rund 150 Leute den Aufruf unterzeichnet. Trotz Semesterferien folgen durchschnittlich zwei bis drei neue Unterzeichner pro Tag.

Lehre als notwendiges Übel

Besonders vom Prekariat betroffen sind die sogenannten Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA), die seit 2005 in der Bundesrepublik ausgeschrieben sind. Dahinter stecken meist befristete Teilzeitstellen, die den Lehrbetrieb der Unis aufrechterhalten sollen. Eine aktuelle LfbA-Stelle an der Uni Bamberg beinhaltet etwa die Durchführung von 13 bis 18 Semesterwochenstunden.

Das heißt, insgesamt müssen sechs bis neun zweistündige Veranstaltungen vorbereitet, durchgeführt und für die Studenten nachbetreut werden. Fürs Forschen bleibt da freilich keine Zeit mehr. "Die Forschung geht immer mehr in Richtung Exzellenz, während die Lehre weitgehend als notwendiges Übel wahrgenommen wird", meint Bürk.

Während im sozialwissenschaftlichen Bereich der Boykott viel Zustimmung erlangte, blieb das Echo unter Naturwissenschaftern gering. Selbst von Uni-Seite gab es überraschende Reaktionen: Bei Stellenausschreibungen finden sich zum Teil auch Hinweise auf den Boykottaufruf. (Fabian Kretschmer, DER STANDARD, 4.10.2012)