Prominente Runde in der Burg (von links): Isolde Charim, der Historiker Oliver Rathkolb, Franz Vranitzky, Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid, Agnes Heller, Joakim Palme und Stefan Horvath, der Vater eines Opfers des Bombenattentats von Oberwart.

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Wien - Es dauert ein wenig, bis der Grund der Veranstaltung auf die Bühne kommt. Dann, von links: Franz Vranitzky tritt auf. Er setzt sich in einen schweren Fauteuil, diskutiert mit Intellektuellen über die " Lehren aus der Geschichte des politischen Terrors in Europa". Diese Matinee ist, ohne so zu heißen, eine Art Geburtstagsgeschenk für den " Nadelstreif-Kanzler" (so Würdigungen zu seinem 75er am 4. Oktober). Und sie erinnert an Zeiten, in denen eine gewisse Intellektualität zur Grundausstattung der SPÖ gehörte.

Die Ehre erwiesen Vranitzky am Sonntag im bis in den dritten Rang ausverkauften Burgtheater langjährige Weggefährten: Bundespräsident Heinz Fischer, Parlamentspräsidentin Barbara Prammer, der Fraktionschef der SPE im Europaparlament Hannes Swoboda und viele mehr waren gekommen. Werner Faymann, derzeit SPÖ-Chef und Kanzler, war bei der von Bruno-Kreisky-Forum, Burgtheater, Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien und Standard organisierten Debatte nicht zugegen.

Radikale Verlierer ...

Dafür trat der britisch-niederländische Autor Ian Buruma ans Rednerpult und riss das Thema brillant auf: "Radikale Verlierer und Terroristen werden zu leicht verwechselt." Die terroristische Linke der 1970er-Jahre in Deutschland, Italien und Japan sei aus bürgerlichen Familien gekommen. Sie hätte das Gefühl gehabt, in Diktatur zu leben und diesmal - anders als ihre Eltern - Widerstand leisten zu müssen.

Islamistische Attentäter zuletzt in Europa dagegen seien im Sinne Hans Magnus Enzensbergers eben "radikale Verlierer", weil sie zwischen Sozialisationen und Kulturen stünden, Marginalisierung empfänden und aus Zurückweisung schließlich Hass und Rachsucht entwickelten.

... und eine unselige Allianz

Die noch in den 60er- und 70er- Jahren muslimfreundliche Linke habe inzwischen ein Bündnis mit der populistischen Rechten geschlossen - gegen die europäische Elite der Nachkriegszeit, die den Nationalismus ausschalten wollte und gleichzeitig die Bedenken der europäischen Arbeiterschicht gegen Migranten hintanhielt. Daraus nährt sich für Buruma der "populistische Rückschlag" gegen Eliten aller Art und das Gefühl - von der Tea-Party bis zur FPÖ - vieler Menschen, dass sie "ihr Land zurückerobern müssen".

Für Buruma werden diese Ressentiments nicht verfliegen. Im Gegenteil: " Man muss diese Stimmen in den demokratischen Prozess integrieren. Sonst wird es mehr Gewalt geben." Idealerweise wäre die Linke daran, dieses Sentiment aufzunehmen. Aber sie habe keine Antworten. Die Konservativen dagegen könnten solche Strömungen nur absorbieren - mit dem Effekt, dass sie immer weiter nach rechts drifteten.

Joakim Palme, Politologe und Sohn des ermordeten schwedischen Premiers Olof Palme, unterstrich das in der folgenden Debatte: "Wenn wir das nicht ernst nehmen angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit, dann kann die offene Gesellschaft nicht bestehen." Er regte einen neuen Generationenvertrag an.

Die Wiener Philosophin Islode Charim konstatierte eine "populistische Lektion", die Hetzer etablierten Parteien erteilten, indem sie das " Phantasma Nationalstaat" wiederbelebten. Ihre ungarische Kollegin Agnes Heller wunderte sich über die "Dekadenz" der Europäer, die nicht " täglich um die Demokratie kämpfen" wollen.

Und Vranitzky merkte an, dass auch die gegenwärtige Verbindung mit dem Boulevard der Politik besonders in dieser Frage nicht förderlich sei. Dennoch blicke er, angesichts des Engagements vieler, optimistisch in die Zukunft.

Den Abschluss machten Klaus Maria Brandauer und Elisabeth Orth mit einer Lesung von Texten zum Thema. (pra, DER STANDARD, 8.10.2012)