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Foto: dapd/Lang

Die Veröffentlichung des Vermögensberichts der Nationalbank vergangene Woche hat der SPÖ und der Arbeiterkammer viel Munition für ihren Kampf für höhere Vermögens- und Reichensteuern gegeben – zeitlich praktisch vor dem Parteitag der Sozialdemokraten.

Doch der Bericht wirft zahlreiche Fragen auf, die man beantworten sollte, bevor man den Kampf gegen die Ungleichheit zum Hauptziel der Wirtschaft- und Sozialpolitik erklärt.

Erstens: Jeder Vermögensbericht in jedem Land der Welt würde ein bedeutendes Maß an Ungleichheit aufweisen. Dass die Reichen mehr haben als die Armen ist keine Überraschung. Und das in einer Gesellschaft manche viel mehr haben als andere, ist zwar unbefriedigend, aber auch unvermeidlich. Eine freie, dynamische Marktwirtschaft führt zur ungleichen Verteilung von Einkommen und  Vermögen.

Und Staaten, in denen Regierungen ökonomische Gleichheit erzwingen wollen, entstehen andere, oft noch massivere Formen der Ungerechtigkeit.

Die zweite Erkenntnis ist, dass in stabilen Friedenszeiten die Ungleichheit der Vermögen allmählich wächst.  Wer mehr hat, dem fliegt auch mehr zu, und solange Vermögen nicht durch Krieg,  Hyperinflation oder massive Wirtschaftskrisen vernichtet werden, können die Reichen Jahr für Jahr ihren Vorsprung ein kleines Stück ausbauen. Zum Glück war die Zeit nach 1945 eine solche Ära.

Bei den Einkommen können Regierungen gegensteuern, durch progressive Besteuerung und hohe Sozialleistungen. Bei Vermögen ist das viel schwerer. Denn werden die zu hoch besteuert, dann gibt es Wege, dieser Form der schleichenden Enteignung zu entkommen. Deshalb haben auch sehr progressive Länder wie Schweden die klassische Vermögenssteuer abgeschafft. Sie hat einfach nicht genug gebracht.

Abgesehen von der moralischen Komponente muss man sich fragen: Wie groß ist der praktische Schaden, den ein Land durch Ungleichheit nimmt? Das hängt vom Ausmaß an.

Die riesige soziale Kluft in vielen lateinamerikanischen Staaten hat Länder wie Brasilien jahrzehntelang zurückgehalten. Die neue Sozial- und Armutsbekämpfungspolitik, die bereits unter Fernando Henrique Cardoso begonnen und unter seinen sozialdemokratischen Nachfolgern Lula da Silva und Dilma Rousseff ausgebaut wurde, hat entscheidend zum Aufschwung der Wirtschaft beigetragen.

Auch in den USA gibt es Anzeichen, dass die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen seit den achtziger Jahren nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Wirtschaft erheblichen Schaden zufügt.

Im Vergleich dazu ist Österreich eines der Länder der Welt mit der geringsten Ungleichheit – zumindest beim verfügbaren Nettoeinkommen. Laut CIA-Factbook stehen wir beim Gini-Koeffizient, der üblichen Maßeinheit für Einkommensunterschiede – mit einem Wert von 0,26 im Jahr 2007 an sechstletzter Stelle der Welt. Gleicher sind nur Schweden, Montenegro, Ungarn, Dänemark und Norwegen.

Das würde bedeuten, dass der Kampf gegen Ungleichheit in Österreich nicht die höchste Priorität einer vernünftigen Wirtschaftspolitik sein sollte, selbst wenn diese in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Stärkung der Chancengleichheit für die unteren Schichten ja, aber eine  Intensivierung der Umverteilung ist in einem der egalitärsten Länder der Welt nicht notwendig.

Bei Vermögen stellt die Nationalbank-Studie hingegen einen Gini-Koeffienz  für die Vermögensverteilung von 0,76 fest. Das ist sehr, sehr hoch.

In einer weltweiten Vermögensstudie aus Luxemburg wurde 2006 Österreich nicht untersucht. Aber von den gemessenen Ländern hatten nur die USA, die Schweiz und Brasilien deutlich höhere Werte.

Aber irgendetwas stimmt an diesen Zahlen nicht. Es kann nicht, dass in einem Land, das vor zwei Generationen – anders als die Schweiz und die USA  - einen Großteil seiner Vermögen durch Krieg und Verfolgung eingebüßt und seither eine sehr egalitäre Einkommensverteilung genossen hat, dennoch eine der stärksten Schieflagen beim Vermögen entstanden ist.

Deutschland, wo es eine riesige Kluft zwischen West und Ost gibt, weist in dieser Studie einen Gini-Koeffizienten beim Vermögen von 0,67 auf. Auch wenn wir einige deutsche Milliardärsfamilien importiert haben, sind in Österreich die Reichen sicher nicht reicher als in Deutschland.

Vielleicht werden hier Äpfel mit Birnen verglichen - sprich: Vermögen wird anders definiert. Oder aber die Nationalbank hat sich bei der Gini-Berechnung vertan.

Der radikal-liberale Publizist Michael Hörl sieht als Ursache die Tatsache, dass hunderttausende Wiener etwa in Gemeindewohnungen (oder geförderten Mietwohnungen) günstig wohnen und deshalb kein Wohnungseigentum aufgebaut haben. Das macht sie allerdings nicht arm.

Was immer der Grund ist: Die Vermögensstudie bietet wenig Orientierung für eine zukünftige Wirtschafts- und Steuerpolitik.  Gewisse Maßnahmen und Reformen, die seit Jahr und Tag von Wifo- und anderen Experten gefordert werden, bleiben dennoch vernünftig, was immer die Zahlen sagen:

* eine Erhöhung der lächerlich niedrigen Grundsteuern (ja, auch für die Bauern!) gekoppelt mit der Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, die ja vor allem wegen der realitätsfernen Einheitsverwerte einst vom Verfassungsgerichtshof gekippt worden ist;

* ein gezielter Einsatz finanzieller Mittel zur Verbesserung des Bildungssystems vor allem für Migranten, sowie ein Ausbau von Kinderbetreuung, damit mehr Frauen in den Arbeitsmarkt eintreten können; und

* eine Entlastung der Sozialabgaben vor allem am unteren Ende.

Um das zu erreichen, muss man allerdings nicht zur Hetzjagd auf die Reichen aufrufen. Doch das wird die SPÖ wohl nicht aufhalten: In einem Wahlkampf ist das Wettern gegen Ungleichheit viel einfacher und effektiver als die Ausformulierung jener Maßnahmen, die wirkliche Abhilfe schaffen.