Marcel Koller lehnt das öffentliche Veräppeln von Spielern ab.

Foto: STANDARD/Hendrich

Standard: Können Sie gut einparken?

Koller: Ja, aber hier am Stadion ist es eh kein Problem. Außerdem habe ich im Auto eine Kamera und sehe so, wo ich hinfahre.

Standard: Können Sie es blind auch?

Koller: Blind nicht. Aber ohne diese Hilfe schon. Warum?

Standard: Weil Sie in einem Fragebogen angaben, sie läsen gerade "Warum Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können". Zuhören können Sie nicht?

Koller: Ist die Frage, ob bei Spielern oder bei Frauen. (lacht) Nein, nein, ich kann schon zuhören. Ich bin eher der ruhigere Typ, der zunächst zuhört und dann weiter tut.

Standard: 1999 waren Sie noch nicht so cool, da sagten Sie noch: "Ich rege mich nach eine Niederlage fürchterlich auf."

Koller: Ich rege mich immer noch auf, vor allem wenn die Niederlage unnötig war. Speziell die Niederlage gegen Deutschland hat mir schon zwei, drei Tage auf dem Magen gelegen. Aber fürchterlich aufgeregt habe ich mich nicht, weil auch vieles gut war.

Standard: Sie haben verloren und trotzdem waren alle begeistert.

Koller: Das birgt aber auch Gefahren. Denn zu denken, man werde auch hochgejubelt, wenn man verliert - das soll es ja auch nicht gerade sein.

Standard: Sie sagen, Sie lieben Fußball, Fußball sei Ihr Leben. Bei Ihrem Abschied von den Grasshoppers haben die Spieler geweint?

Koller: Ja. Ja.

Standard: In der Wirtschaft funktioniert das anders. Ich habe leider noch nie einen Bankchef sagen gehört: Ich liebe das Bankgeschäft. Auch Fußball ist doch nur ein Geschäft...

Koller: ...aber eines mit sehr viel Emotionen. Und auch dieses Geschäft hat sich verändert, als Trainer kann man Spieler heute nicht mehr so behandeln, wie zum Beispiel ich als Spieler behandelt wurde. Man muss viel mehr erklären. Früher hat man gesagt: "So, da gehst du jetzt hin", und Aus, Schluss, Amen, keine Diskussion. Das funktioniert heute nicht mehr, es ist alles viel aufwändiger geworden.

Standard: Sie sollen auch als Trainer sehr ruhig agieren. Müssen Sie nicht oft streng sein?

Koller: Ich muss mal so, mal so sein. Wenn man was bewirken will, geht es natürlich nicht immer mit Streicheln. Kapiert es der Spieler gar nicht, muss ich schon mal sagen: "Aus, Schluss jetzt".

Standard: Warum emotionalisiert Fußball eigentlich so sehr?

Koller: Fußball ist einfach ein geiler Sport. Fußball fasziniert die Massen und ist auch nicht sehr steuerbar. Es ist ein Fehlersport: Man kann es nie so hinbringen, dass ein Spieler keine Fehler mehr macht.

Standard: Apropos: Darf ich Ihnen eine Gastfrage von meinem jüngeren Sohn stellen?

Koller: Ja.

Standard: Wie oft können Sie gaberln?

Koller: Gaberrrln? Ist das jonglieren?

Pressesprecher: Ja.

Koller: Früher habe ich mitgezählt;jetzt geht es mal länger, mal kürzer. Es gibt sogar Weltmeisterschaften im Gaberln, und manche tun es auf Treppen, aber das sind eher Zirkusakrobaten.

Standard: Ich wollte noch einmal zurück zum Führungsstil. Wären Manager besser, wenn sie wie Trainer mehr Emotion zeigten?

Koller: Wir wissen ja nicht, ob das etwa der Banker intern nicht sowieso macht. Banker stehen ja nicht in der Öffentlichkeit. Wir hingegen ständig - was es für uns nicht einfacher macht. Überall wird man erkannt.

Standard: Das ist vor allem für jungen Spieler schwierig, oder? Die werden dann frech zu Polizisten.

Koller: Soll vorkommen, ja.

Standard: Ö3 hat Marko Arnautovic lang veräppelt. Österreichische Fußballer sind aber auch speziell, mit ihren irreregulären Sprüche à la "Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär". Werden Fußballer anderswo ernster genommen?

Koller: In Deutschland gibt es das auch, in der Schweiz weniger. Ich finde das Veräppeln aber nicht so gut. Wie lange macht Ö3 das mit Arnautovic schon? Vier Jahre?

Standard: Nein, vor ihm waren KH Grasser und seine Frau dran.

Koller: Irgendwann sollte Schluss sein mit diesen Scherzen. Wenn einen das selbst betrifft, weiß man, worum es geht. Ich bin auch erschrocken, als in Deutschland die Fans begannen, Böses rein zu rufen. Da dachte ich: "Was ist denn hier los? Ich tu‘ doch alles für den Verein." Das ist schwierig zu verarbeiten. Als Trainer will man, dass alle erfolgreich sind; aber es sind einem halt auch die Füße gebunden.

Standard: Haben Sie eigentlich oft Lust, selbst aufs Feld zu laufen?

Koller: Manchmal möcht ich schon dazwischengrätschen.

Standard: In Bochum, wo Sie bis 2009 Trainer waren, haben die Zuschauer skandiert "Koller raus". Wie wurden Sie das los?

Koller: Nur Siege befreien dich von diesen Rufen. Aber wenn man in einer Negativspirale drin ist, ist es sehr schwer rauszukommen.

Standard: Fußball-Fans sind schon etwas Spezielles.

Koller: Man kann sie nicht mit Golf- oder Tennis-Fans vergleichen. (lacht)

Standard: Wollten Sie nie für immer den Hut drauf hauen?

Koller: Nein, ich zieh das durch, weil das mein Job ist.

Standard: Obwohl es auch beim Fußball ums schnelle Geld geht, wie Sie jüngst gesagt haben?

Koller: Ich habe gemeint: Ein Fußballer hat, wenn es optimal läuft, fünfzehn Jahre, in der Zeit muss er was zurücklegen.

Standard: Sie haben 24 Jahre lang bei Grasshopper Zürich gespielt...

Koller: Inklusive C-Jugend, aber da verdient man ja nichts.

Standard: 300 Franken bekamen Sie mit Ihrem ersten Vertrag.

Koller: Mit 18 Jahren. Da dachte ich: Wow, jetzt geht's ans Geldverdienen

Standard: Was wäre aus Ihnen geworden, hätte Sie Ihr Schulwart nicht Grasshopper Zürich anempfohlen, als er Sie als Buben auf der Zürcher Luchswiese spielen sah?

Koller: Ich weiß es nicht. Mit 14 kam mir der Gedanke, Fußballer zu werden, und das habe ich durchgezogen. Obwohl ich mit 19 meine erste Verletzung hatte, bei der der Arzt sagte, solche Verletzungen habe man erst mit 40.

Standard: Mit 31 mussten Sie nach Schien- und Wadenbeinbruch 18 Monate pausieren. Sie haben dann noch fünf Jahre gespielt. Was war damals Ihr Plan B?

Koller: Hätte ich einen Plan B gehabt, hätte ich die Rückkehr nicht mehr gepackt. Ich war überzeugt, dass ich so nicht aufhören werde.

Standard: 2000 hätten Sie dann Schweizer Nationaltrainer werden können. Das war Ihnen zu früh?

Koller: Ich wollte mich noch jeden Tag aufregen. Im Nationalteam kannst du das nur alle paar Monate tun.

Standard: Einer der berühmtesten Schweizer Nationaltrainer war ja ein Wiener: Karl Rappan. Erfand den Schweizer Riegel, eine Taktik, aus der der Catenaccio entstand.

Koller: Aber diese Formation spielt man heute nicht mehr.

Standard: Sie gelten als Taktiker und Konzepttrainer. Ihr Vorgänger Didi Constantini hat Taktik angeblich nicht so wichtig gefunden.

Koller: Er meinte, dass man für die Taktik auch die richtigen Spieler braucht. Und das stimmt auch.

Standard: Ihm schreibt man Skilehrer-Charme zu, Ihnen Schweizer Pragmatik.

Koller: Ich hatte noch nie einen Skilehrer.

Standard: Ich will noch ein wenig über die Österreicher und die Schweizer mit Ihnen reden...

Koller: Und über Schokolade.

Standard: Darüber nicht gerade. Wobei: Vielleicht über Mehlspeisen. Sie sagen ja, der einzige Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz seien die Mehlspeisen. Haben Sie schon eine Lieblingsmehlspeise?

Koller: Nein, die sind alle gut, da möchte ich mich nicht festlegen.

Standard: Radeln Sie eigentlich noch jeden Tag durch den Praterpark?

Koller: Drei, vier Mal die Woche. Und es sagte mir ja keiner, dass es nicht Praterpark sondern Prater heißt. Jetzt weiß ich das auch.

Standard: Und kennen Sie nach einem Jahr die österreichische Seele schon ein wenig?

Koller: Ja, klar, ein bisschen was habe ich schon mitgekriegt.

Standard: Haben Sie das Buch von Erwin Ringel schon gelesen?

Koller: Nein.

Standard: Hier, ich habe es Ihnen mitgebracht.

Koller: Danke.

Standard: Und was halten Sie von den Österreichern?

Koller: Ich erlebe sie als sehr angenehm. Anfangs haben sie viel geraunzt, alle sagten mir nur, was alles nicht passt. Das Raunzen war auffällig. Ich habe mir alles angehört und gesagt: "Schau ma amal". Das Raunzen ist jetzt vorbei - das Match gegen Deutschland hat da viel bewirkt, jetzt freuen sich alle.

Standard: Empfangen wurden Sie in Österreich aber uncharmant.

Koller: Ja, von den Experten, den Ex-Spielern. Vom Volk, in den Hotels, auf den Fußballplätzen habe ich nie etwas Schlechtes erlebt. Wobei das natürlich auch vom Ergebnis im Fußball abhängt, das weiß ich schon.

Standard: Als Sie Spieler Paul Scharner keinen Stammplatz in der Mannschaft gaben, schimpfte er, man habe "Koller weichgeklopft wie ein Wiener Schnitzel, wenn man ihn noch paniert, wäre er ein richtiger Österreicher". Wären Sie gern ein richtiger Österreicher?

Koller: Ich bin Schweizer.

Standard: Ein richtiger Schweizer?

Koller: Was ist ein richtiger Schweizer?

Standard: Einer, der die Fahne hisst und das Gewehr im Schrank stehen hat.

Koller: Ich habe noch das eine oder andere Schweizer Trikot daheim. Aber ich ziehe es nicht an, um darin zu schlafen. Und das Gewehr hatte ich so lange im Schrank, so lange ich jedes Jahr mitsamt diesem Gewehr einrücken musste.

Standard: Wann wären Sie als Trainer mit sich zufrieden? Die WM-Teilnahme Österreichs wird wohl nicht Ihre Messlatte sein.

Koller: Ich bin selten zufrieden. Wenn ich bei einer WM bin, will ich da auch weiterkommen. Wenn man oben ist und sich zurücklehnt, dann rasselt man runter. Jeder will nach oben, und oben, da sägen alle an deinem Stuhl, da musst du dich wehren und die Ellbogen einsetzen. So ist das. Ich schätze es, wenn ich oben bin, aber ich ruh‘ mich nicht aus und lehn‘ mich nicht zurück.

Standard: Anstrengend, nicht?

Koller: Ja, aber zwischendurch nehme ich mir einen Tag frei und genieße das auch.

Standard: Sind Sie vielleicht ein Lebenskünstler?

Koller: In den Vorjahren habe ich gelernt, das Leben zu genießen.

Standard: Wie haben Sie das gelernt?

Koller: Das geht schon ein wenig ins Private hinein.

Standard: Aber über Privates reden Sie nicht so gern?

Koller: Nein... Also, das hängt mit dem Tod meines Vaters 1999 zusammen, er ist sehr plötzlich gestorben, ging schlafen und lag am Morgen tot neben meiner Mutter. Er hat sein Leben sehr genossen, sein Tod hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Damals habe ich begonnen, bewusster zu leben.

Standard: Ein Ballkünstler sind Sie schon?

Koller: Ich mag Bälle gern, kleine wie beim Golf, Tischtennis oder Tennis, große wie beim Fußball. Basketball nicht so, aber das ist wegen der Größe nicht so meins. (lacht)

Standard: Vorletzte Frage: Worum geht's im Fußball?

Koller: Um Siege.

Standard: Worum geht's im Leben?

Koller: Da bin ich auch noch am Suchen. Gerade letzte Woche habe ich mich das wieder gefragt, auf dem Fahrrad. Ich radle weiter. Vielleicht komme ich ja irgendwann ans Ziel. (Renate Graber, DER STANDARD, 6./7.10.2012)