Während die Einsprachigkeit oft in Keinsprachigkeit endet, wenn man sich der Welt draußen nicht widmet und mit dieser nicht in Kontakt treten möchte, wie von gewissen Bundesländern mit fallenden Sonnen immer wieder unter Beweis gestellt wird, kann auch die Mehrsprachigkeit durchaus ihre Tücken entwickeln.

Als babylonisches Turmbau-Versuchskarnikel und Beispielsmaterial fungierten auch ich als Dreizehnjährige und mein kontaktfreudiger, aber sprachunbegabter Vater. Als Kind war ich zweisprachig, aber dennoch gesittet erzogen worden. Man hatte mich mit Dostojewski gequält, mit Bulgakow erfreut, man hatte irgendwann den Kampf gegen die Science- Fiction-Literatur, die mich am meisten begeisterte, aufgegeben. Abgesehen davon war ich harmlos.

Die beginnende Pubertät verlangte jedoch nach Rebellion. Die Provokationsversuche auf Deutsch scheiterten zuerst daran, dass mein Vater diese nicht verstand - oder erfolgreich so tat. Die russischen waren mir unbekannt. Ich ging also neue Wege, wartete einen Festabend ab, bei dem viele Wiener Freunde geladen waren, und legte los. Er verstand zwar wenig, ermahnte mich aber, mich zu benehmen. Ich schleuderte ihm den im deutschen Sprachraum gängigen Ausdruck "Außen hui und innen pfui" entgegen. Bingo. Die Reaktion konnte sich sehen lassen: Der harmlose Spruch löste einen erniedrigenden Rauswurf ohne Nachtisch aus, mit Hausarrest und Abbruch aller bilateralen Verhältnisse. Für Tage. Das alles ohne jede Erklärung.

Diese hartnäckig von mir geforderte Klärung der in meinen Augen überzogenen Strafmaßnahmen verweigerte der Vater über Jahre. Er war sehr korrekt, ein etwas schüchterner Mann, der mir wiederholt sein Entsetzen über mein ungebührliches Verhalten kundtat, wenn ich ihn auf die Situation ansprach. Für ihn war dieser Angriff so schwerwiegend wie absolut unerklärlich gewesen. "Vor allen Freunden!", wurde er nicht müde zu wiederholen. "In aller Öffentlichkeit! Wie konntest du nur?!" - "Bitte, Papa, hui und pfui ist doch nicht schlimm", versuchte ich einzuwenden, und jede Diskussion endete in einem erneuten Streit und seinem erneuten Schweigen.

Erst die Bekanntschaft russischer Jugendlicher Jahre später erhellte die düstere Angelegenheit: Das harmlose Wörtchen "Hui", das mir viel Ärger beschert hatte, war das schlimmste Schimpfwort, das dem Russischen bekannt ist, eine grobe Bezeichnung des männlichen Geschlechtsorgans. Während also dem in der deutschen Sprache Sozialisierten zu seinem inneren Pfui wenigstens der Bonus des blendenden Aussehens als Trost blieb, hatte ich in den Augen meines Vaters ein inneres und äußeres Totalversagen unterstellt. Na hui.  (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 6./7.10.2012)