Rechtzeitig bevor Unterrichtsministerin Schmied ihren Bericht zur flächendeckenden Einführung eines Ethikunterrichtes vorgelegt hat, konnte ausgerechnet Integrationsstaatssekretär Kurz ein "Positionspapier" dazu vorlegen und geschickt das Rampenlicht auf sich ziehen.

Der Inhalt? "Ethikunterricht für alle, die den Religionsunterricht meiden". Ein alter schwarzer Hut. Immerhin: Schon seit Jahren beschwören die ÖVP, sämtliche gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften und hochkarätige Pädagogen - die meisten freilich nebenbei auch Theologen - mantraartig die verpflichtende "Wertevermittlung" in Schulen. Und zwar ausschließlich an jene Schülerinnen und Schüler, die, aus welchem Grund auch immer, dem Religionsunterricht fernbleiben.

"Im Interesse von Staat und Gesellschaft" hat dies zu geschehen, so Christoph Schönborn, der österreichische Vertreter jener Organisation, die von Staat und Gesellschaft in Milliardenhöhe jährlich finanziert wird. Um der "Gefahr religiöser Gleichgültigkeit zu entgehen", so seinerzeit Mikl-Leitner, damals noch als rechte Hand des Onkels und nun ÖAAB-Chefin und somit Vertreterin der meisten Religionslehrer Österreichs. Um "eine Bringschuld des Staates" zu erfüllen, so Beamtenchef Neugebauer, dessen Tatendrang in Sachen Ethikunterricht schon lange auffällig ist. All dies war aber gestern - heute beginnt die Zukunft. Und zwar mit einem "Positionspapier" des Herrn Kurz, ein neues Blatt quasi, auf dem aber alles steht, was schon geschrieben wurde.

Der neue Mann für alles

Mit ihrer sechs Wochen zurückliegenden Ankündigung, einen für alle Schüler verpflichtenden Ethikunterricht einführen zu wollen, stellte Unterrichtsministerin Schmied unmissverständlich klar, dass für sie dieser mit dem Religionsunterricht nichts zu tun hat bzw. haben darf. Und zur Überraschung aller sickerte jüngst durch, dass selbst das ÖVP-ernannte Expertenteam im Rahmen des "Unternehmen Österreich 2025" empfiehlt, einen für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtenden Ethikunterricht einzuführen.

Doch bald erkannte "die" Ethikpartei Österreichs, dass es so nicht weitergehen kann. Die Lösung: Kurz, das schwerste Geschütz, das der ÖVP derzeit zu Verfügung steht, muss als "Game Changer" her. Nicht, dass die ÖVP keinen Bildungssprecher hätte, der in einer eloquenten und fachkundigen Weise die Parteilinie ad Strafethikunterricht für Religionsunwillige medienwirksam erläutern könnte - ganz im Gegenteil. Gegen diesen ermittelt aber derzeit die Staatsanwaltschaft wegen Geldwäscheverdachts; für eine ethische Mission ist er derzeit also nicht zu haben.

Nicht, dass die ÖVP keinen über jeden Verdacht stehenden Bundesparteiobmann hat, der solch ein wichtiges Thema zur Chefsache deklarieren und entsprechend in die Öffentlichkeit transportieren könnte. Sie hat ihn sehr wohl. Dass er der Chef sei, sind sich aber nicht alle, auch parteiintern, sicher. Und dann - Eureka! Wir haben ihn, den richtigen Mann! Einen, der sich in Sachen Religion bestens auskennt und jedes politische Vorhaben im Handumdrehen in einen lobenswerten Akt der Integration verwandeln könnte.

"Ethik" als weltlicher Ersatz für "Religion"?

Und so kommt es, dass ein Integrationsstaatssekretär, aus heiterem Himmel, dafür plädiert, dass man den Klassenverband entlang religiöse, also in der Regel ethnische, Linien zerreißt, um dem einen Teil Demokratie, Menschenrechte und Toleranz näher zu bringen, während der andere Teil sich mit dem angeblichen Kreuztod Christi oder mit dem vermeintlich einzigen Allah beschäftigt. Oder gar sich mit der Rechtfertigung der Wahlenthaltung befassen würde, sollten die Zeugen Jehovas sich entscheiden, den ihnen zustehenden Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Anspruch zu nehmen.

Und so kommt es, dass ein Noch-nicht-Akademiker das komplexe Teilgebiet der Philosophie namens "Ethik" kurzerhand als gleichwertigen weltlichen Ersatz für "Religion" (egal welche) deklariert. Und dabei, ganz en passant, gleich alle in Österreich gesetzlich anerkannten Religionen aufwertet.

Worum es wirklich geht

Spätestens jetzt ist aber die Frage nach der Motivation, Kurz, als jung, dynamisch und "Schwarz ist geil", an die eher fade religiöse Front zu entsenden, angebracht. Klar: Derzeit gilt für die ÖVP als Gebot der Stunde, die Parteilinie wiederherzustellen um das zu retten, was noch gerettet werden kann. Schließlich war die ÖVP schon immer die Religionspartei und daran soll sich auch künftig nichts ändern. Das Outing von Kurz samt Positionspapier veranschaulicht aber vielmehr, wie sehr die ÖVP um Wähler mit "Migrationshintergrund" bemüht ist.

Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, dass parallel zum Ethikauftritt Kurz erstmals hierzulande auch eine orthodoxe Kirchenzeitung erschienen ist, dank des Einsatzes des Österreichischen Integrationsfonds und, wie nicht, des Staatssekretariats für Integration. Vor diesem Hintergrund wird die Teilnahme Kurz als quasi Regierungsvertreter bei der Vollversammlung der orthodoxen Bischofskonferenz ja auch niemanden mehr überraschen!

Kapituliert die SPÖ beim Ethikunterricht?

Der Einsatz der ÖVP für den Ethikunterricht ausschließlich als Alternativ(pflicht)fach zum konfessionellen Religionsunterricht ist ein dreister Kampf gegen Integration. Die erfolgreiche Implementierung des von Sebastian Kurz präsentierten Masterplans wird den Sturzflug des katholischen Religionsunterrichts kurzfristig stoppen, den islamischen Religionsunterricht hingegen langfristig beflügeln. Der Enthusiasmus, mit dem die islamische Glaubensgemeinschaft das Kurz'sche Konzept empfangen hat, war daher auch überwältigend aber keineswegs überraschend.

Und die SPÖ? Ausgerechnet im traditionell verlässlichen Zuwanderersektor drohen ihr nun die Felle davonzuschwimmen und es stellt sich zunehmend die Frage, wie viel Spielraum Schmied noch hat. Die auffällige Weigerung der Bundes-SPÖ, ihre eigene Ministerin in ihrer aufrechten Haltung zu unterstützen, ist bereits jetzt kaum zu übersehen. Die Bereitschaft der SPÖ, in Sachen Religion faule Kompromisse einzugehen, war schon immer ausgeprägt. Eine Kapitulation beim Ethikunterricht würde jedoch einen neuen ethischen Tiefpunkt markieren. Und integrationsfördernd wird sie auch nicht sein. (Eytan Reif, Leserkommentar, derStandard.at, 8.10.2012)