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Lokalisierung der AKWs und Information zu Beanstandungen.

Grafik: APA

In Europa müssen Milliarden von Euro aufgewendet werden, um die Atomkraftwerke sicherer zumachen. Die EU-Kommission hat am Donnerstag die Ergebnisse und Empfehlungen der europaweiten "Stresstests" bei Atomkraftwerken vorgestellt. Kurz zusammengefasst: Alle Anlagen haben Nachrüstbedarf. Die hierfür benötigten Investitionen werden auf rund zehn bis 25 Mrd. Euro geschätzt. EU-Energiekommissar Günther Oettinger mahnt "rasche Handlung" ein und sprach sich bei der Präsentation in Brüssel für die Einführung einer europaweiten Versicherungspflicht aus. Dass sich dies auf den Preis von Atomstrom auswirken würde, ließ er klar erkennen.

64 Atomkraftwerke in Europa überprüft

Geprüft wurden im Rahmen der Stresstests im Gefolge der Reaktorkatastrophe von Fukushima 145 Reaktoren in insgesamt 64 Atomkraftwerken in ganz Europa. Neben den EU-Staaten, die Atomkraft nutzen, beteiligten sich auch die Schweiz und die Ukraine. Die europäischen Experten statteten 54 Reaktoren einen Besuch an Ort und Stelle ab. Namentlich nannte Oettinger beispielhaft etwa das umstrittene französische AKW Fessenheim und das tschechische Atomkraftwerk Temelin.

Der Bedarf, bei der Sicherheit nachzurüsten, betrifft alle Atomkraftwerke in Europa. "Es besteht kein Anlass zur Selbstzufriedenheit", stellte Oettinger fest. Die EU-Kommission gebe zwar keine Empfehlung zur Schließung von Reaktoren, urgiert aber praktisch für alle Anlagen Verbesserungen. Auch werden von der Westeuropäischen Atomaufsichtsbehörde (WENRA) Leitlinien gefordert, denn in den Notfallplänen bei Naturkatastrophen, einschließlich Erdbeben, Überflutungen und extreme Wetterbedingungen gebe es zu wenig Einheitlichkeit.

Die EU-Experten statteten unter anderem allen tschechischen, ungarischen und dem slowenischen AKW Krsko sowie der Anlage Mochovce in der Slowakei einen Besuch ab. Für die tschechischen Atomkraftwerke Dukovany und Temelin empfiehlt die EU-Kommission etwa, dass Notfallausrüstung entsprechend gelagert werden muss, dass Leitlinien für schwere Unfälle vorliegen müssen, Wasserstoff-Explosionen in solchen Fällen verhindert werden müssen und Filter installiert werden, die ein Austreten von Radioaktivität beim Ablassen von Druck verhindern. Mängel bei der Erdbeben- und Überflutungssicherheit werden auch fast allen französischen AKW attestiert.

Kein rechtlicher Zwang, aber politischer Druck

Die EU-Kommission kann die Staaten nicht zur Nachrüstung zwingen, will aber politischen Druck auf sie ausüben. So sollen die bis Jahresende vorliegenden nationalen Aktionspläne auch von europäischen Experten bewertet werden. Auch stelle sich die Kompetenzfrage, sagte Oettinger. Er sei sich nicht sicher, ob alle EU-Staaten, die Atomkraft nutzen, mit den Empfehlungen glücklich sind. Daher wolle die EU-Kommission "am Ball bleiben". Er zeigte sich aber überzeugt, dass der Bericht "nicht ins Archiv wandern wird", sondern im Gegensatz eine Grundlage für weitere Maßnahmen sein wird.

Versicherungspflicht für Atomkraftwerke

Der Energiekommissar sprach sich für eine Versicherungspflicht für Atomkraftwerke, um das Haftungsrisiko im Falle einer Katastrophe zu mindern. Diese Versicherungspflicht wäre im Strompreis abzubilden und würde die Wettbewerbsfähigkeit dieser Energieform "nicht stärken", meinte er: "Mein Auftrag ist es nicht, durch Sicherheitsdumping die Kernkraft billig zu machen." Denkbar ist aus seiner Sicht auch eine Haftungsobergrenze, denn es wäre besser, zumindest einen Teil des Worst-Case-Szenarios abzusichern.

Investitionsbedarf bis zu 25 Milliarden Euro

Der nun geschätzte Investitionsbedarf von bis zu 25 Mrd. Euro in die Sicherheit ergebe sich aus Hochrechnungen auf Grundlage der in Frankreich durchgeführten Stresstests. Bis Jahresende müssen nun die nationalen Aufsichtsbehörden Aktionspläne vorlegen und 2014 will die EU-Kommission den Fortschritt bewerten.

Oettinger hielt fest, dass es bei der Erstellung des Berichts "kein Einwirken von außerhalb" gegeben habe. Dass in den aktuellen Prüfungen nicht etwa auf Cyberangriffe oder die Terrorismusgefahr eingegangen wurde, sei "bedauerlich", hier habe die EU jedoch kaum Kompetenzen, räumte er ein.

Rebecca Harms, Vorsitzende der Fraktion Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament hielt gegenüber Journalisten fest: "Ich kann Oettinger nur darin unterstützen, dass die Haftungslücke geschlossen wird." Wie in Japan gelte auch für Europa, dass die AKW für den Katastrophenfall nicht ausreichend versichert sind. Gut sei nun, dass im Zuge der Stresstests auch externe Prüfer Einblick erhalten haben. "Die Veröffentlichung der Mängelliste macht Druck, sie zu beseitigen", so Harms.

Tickende Zeitbomben

Für die Umweltorganisation Greenpeace unterstreichen die Tests einmal mehr, dass "alle Atomkraftwerke tickende Zeitbomben sind". Gefordert wird, das Geld für notwendige Sicherheitsmaßnahmen statt für Nachrüstung in erneuerbare Energie zu investieren.

Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) konstatierte in einer Aussendung: "Es gibt erheblichen Nachrüstungsbedarf." Österreich werde die Umsetzung besonders in den Nachbarländern einfordern und sich kritisch einbringen. Die Devise sei: "Nachrüsten oder Abschalten". Berlakovich fordert ein europäisches Nuklearsicherheitssystem. (APA, 4.10.2012)