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Er zeigt, wo es langgeht. Ben Bernanke hat die Märkte nach oben getrieben, Ökonom Anatole Kaletsky warnt aber vor hohen Erwartungen.

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Wien - So sieht Jubel aus. Seit Juni haben die Aktienmärkte in den USA, Deutschland und Österreich zwischen 13 und 22 Prozent zugelegt. Die Maßnahmen der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) haben Investoren zu mehr Risikofreude veranlasst. Im September ist zeitweise so viel Geld in globale Aktienfonds geflossen wie seit Beginn der Krise nicht, so die Analysten des Branchendienstes EPFR. "Doch Zweifel sind angebracht", warnt Anatole Kaletsky, Ökonom, Autor und Mitbegründer des Researchhauses GaveKal, das von Hongkong aus weltweit Investoren berät.

USA Die jüngste Ankündigung von Fed-Chef Ben Bernanke sieht Kaletsky sehr kritisch: "Der Fed gehen die Ideen aus." Im September kündigten die Washingtoner Notenbanker ein neues Anleihen-Ankaufprogramm an: Auf QE2 (" quantitative easing") folgt nun QE3. "Dabei hat schon QE2 nicht funktioniert. Es war sogar kontraproduktiv."

Denn das Ziel der Fed, mithilfe steigender Anleihen- und Aktienkurse die Leute zum Konsum zu bewegen, sei klar verfehlt worden. Gerade die steigenden Preise von Rohstoffen wie Öl und Lebensmittel hätten die Geldbeutel der amerikanischen Konsumenten deutlich belastet. Gleichzeitig seien die Unternehmen paralysiert und investieren nicht, weil sie von den Nullzinsen am Kapitalmarkt verunsichert sind. "QE3 sieht sehr ähnlich aus wie sein Vorgänger und wird deswegen wohl auch nicht funktionieren", schließt Kaletsky. Lichtblick ist, dass die Fed nun "open-ended", also ohne Zeitlimit, Anleihen aufkauft. Das könnte die Unsicherheit von Unternehmen reduzieren und so die Investitionstätigkeit befeuern.

Europa Ganz anders die Situation in Europa. Denn in südeuropäischen Ländern wie Spanien ist die finanzielle Instabilität noch immer virulent. "Die EZB hat nun ein Sicherheitsnetz gespannt, das reißfest genug scheint, um einen Zusammenbruch des Euro zu verhindern. Doch die Volatilität und Instabilität wird sich weiter fortsetzen", schätzt Kaletsky. Denn die Frankfurter Währungshüter würden - ganz anders als ihre US-Kollegen - eben nicht mehr tun als nötig. Erst wenn die Panik an den Finanzmärkten bedrohlich genug ist, um die Realwirtschaft in Europa zu treffen, reagiere die EZB.

Zeitgleich seien die strukturellen Probleme nicht gelöst. "Die Fiskalkrise in Europa ist ein Symptom, nicht der Grund für die Krise." Hingegen würden die massive Verschuldung der Haushalte, der veraltete Industriemix in der Peripherie und die Regulierung die wirtschaftliche Entwicklung deutlich behindern. "Die Fehldiagnose der Krise verschärft noch einmal die Probleme. Denn die schwache Wirtschaftssituation als Folge der fiskalischen Notbremse macht die Strukturanpassungen noch schwieriger."

Von Wellen und Dämmen

Für Investoren berge das aktuelle Umfeld aber durchaus Chancen, glaubt Kaletsky. Denn gerade in Europa seien viele Aktienmärkte weiter tief bewertet. Gleichzeitig sei die Gewinnsituation, vor allem in Nordeuropa, anhaltend stabil, Investoren aber massiv verunsichert. "Aktien sind nicht teuer, wenn man genau schaut, wie gesund eigentlich die Unternehmen sind." Dazu komme noch das Potenzial, dass die Nullzinsen Investoren allmählich aus den sicheren, aber ertraglosen Anlagen wie Staatsanleihen aus den USA und Deutschland treiben. "Wenn dieser Damm bricht, wird eine Welle der Liquidität über andere Anlageklassen wie Aktien oder Immobilien schwappen." Dann könnten etwa die Aktienmärkte noch deutlich steigen, ehe sie wirklich überteuert sind.

Einige Investoren ziehen bereits ihre Schlüsse, berichtet Kaletsky aus Gesprächen mit Investoren. So würden etwa Manager der milliardenschweren Währungsreserven in den Schwellenländern anfangen, zunehmend auf Anleihen zu verzichten und lieber Anlageklassen wie Immobilien in den Industrieländern suchen. Die Financial Times berichtet, dass die US-Private-Equity-Gesellschaft Global Infrastructure Partners die Rekordsumme von mehr als acht Milliarden Dollar für einen neuen Fonds eingesammelt hat, der in Infrastrukturprojekte in Industrieländern investieren wird. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 4.10.2012)