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Kienzl: Umverteilungssozialismus ist eine Sackgasse.

Foto: apa/Techt

Wien - Am kommenden Samstag werden auf dem Wiener Hausberg Rax die alten Bergwandererlieder erklingen. Heinz Kienzl, einst führender volkswirtschaftlicher Ratgeber und Intellektueller der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung, feiert seinen 90. Geburtstag. Kienzl gehört zu jenen, für die der Begriff "Arbeiterbewegung" noch eine zweite enorm wichtige Bedeutung hatte: sportliche Betätigung der Proletarier in der freien Natur.

Er war seit 1947 im ÖGB und leitete von 1950 bis 1968 die volkswirtschaftliche Abteilung. Für Anton Benya (Präsident von 1963 bis 1987) war er der wichtigste wirtschaftspolitische Berater und Erfinder der sogenannten "Benya-Formel" (die Lohnerhöhungen sollten die Abgeltung der Inflation und den halben Produktivitätszuwachs enthalten). Als Gründer der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft (SWS), die seit 1961 regelmäßig Meinungsumfragen durchführte, verschaffte er der Gewerkschaftsbewegung auch ein modernes Instrumentarium der Politikgestaltung.

Der Bürgerliche Herbert Krejci sagt: "Für meinen Freund Kienzl und mich gilt das Motto indivisibiliter ac inseparabiliter" ("unteilbar und untrennbar", die Devise auf dem Wappen der österreichisch-ungarischen Monarchie). Kienzl ist in der Tat seit jeher ein überzeugter Anhänger der Sozialpartnerschaft gewesen, aber genauso davon überzeugt, dass nun die Zeit der Arbeiterklasse als bestimmende Kraft gekommen war.

Dass und wie dies sogar in einer "glorreichen Periode" von 1965 bis 1995 gelungen ist, beschreibt Kienzl in einem Beitrag für das von ihm herausgegebene Buch Anton Benya und der Austrosozialismus. Festschrift für Anton Benya zum 100. Geburtstag, und zwar ohne falsche Bescheidenheit: "Die Jahre von 1965 bis 1995 waren eine glorreiche Periode. Bessere Zeiten gab es weder vorher noch später. Das Sozialprodukt ist zwar, seit wir der EU beigetreten sind, weiter gestiegen (...), aber alles in allem, was man von einer sozialistischen Epoche verlangen kann, wurde in dieser Generation geleistet".

Es war die große Zeit der Nachkriegskonjunktur, in der die Gewerkschaft und die SPÖ im Tandem nicht nur die materielle Situation, sondern auch den gesellschaftlichen Einfluss der Arbeiterklasse dramatisch verbesserten: "Die österreichische Gewerkschaftsbewegung sah sich nicht nur als bloße Lohnmaschine, sondern als eine die Gesellschaft gestaltende Institution, mit allen ihren bildungs- und sozialpolitischen Zielen. Durch die betriebliche Mitbestimmung hatte sie einen gewaltigen Einfluss auf die Gesellschaft."

Die Vordenker der Bewegung hätten laut Kienzl wohl der Diagnose zugestimmt, dass "um die Ära Kreisky herum wir Sozialisten und Gewerkschafter den Sozialismus in Österreich verwirklicht hätten".

Die Merkmale waren ein sehr hoher Staatsanteil am Bruttonationalprodukt, ein hoher Verstaatlichungsgrad der Industrie, Mitsprache der Gewerkschaft in fast allen sozialen und kulturellen Bereichen und der Primat der Vollbeschäftigung.

Großen Anteil hatte eine neue Generation von Experten, die an die wissenschaftlich fundierte Planung der Wirtschaft oder zumindest des staatsnahen Sektors glaubten. Es war ein technokratisches Denken, im Vordergrund stand aber eine mehr wachstums- als verteilungsorientierte Politik. Kienzl: "Ein von manchen propagierter Umverteilungssozialismus (...) ist ja zwangsläufig eine Sackgasse. Man kann einmal umverteilen, ein zweites Mal, dann ist man schon bald am Ende."

Ist das eine zarte Kritik an der gegenwärtigen Linie von ÖGB, Arbeiterkammer und SPÖ, die ja unter dem Titel "Gerechtigkeit" die Umverteilung in den Vordergrund stellen, gleichzeitig wenige Ideen zur Förderung des Wachstums einbringen und den Kampf um die Vollbeschäftigung aufgegeben zu haben scheinen? Kienzls Schluss über die Entwicklung der letzten Zeit: "Auch wenn in den Jahren nach der Jahrtausendwende die Einkommens- und Vermögensverteilung sich zuungunsten der unteren Dezile (Einkommenszehntel) verschlechtert hat, international kann sich die österreichische Gesellschaft mit ihrer Einkommensverteilung noch immer sehen lassen." (Hans Rauscher, DER STANDARD, 4.10.2012)