Bild nicht mehr verfügbar.

Ägyptische Frauen demonstrieren gegen Artikel 36 des Verfassungsentwurfs. Sie fürchten um ihr Recht auf Arbeit.

Foto: Nasser Nasser/AP/dapd

Kairo/Wien - In Ägypten steigt die Spannung - und die Sorge einiger Bevölkerungsgruppen -, was die neue Verfassung, deren Entwurf Anfang November fertig sein soll, bringen wird. Und während sich bereits einzelne Protestgruppen formieren - am Dienstag etwa demonstrierten vor allem Frauen -, könnte es noch immer sein, dass der Verwaltungsgerichtshof in Kairo den Verfassungsausschuss, der am Text arbeitet, auflöst: Denn er wurde vom Parlament gebildet, das wegen Verfassungswidrigkeit aufgelöst wurde. Das Gericht tritt am 9. Oktober wieder zusammen.

Am Schicksal des Ausschusses und seines Verfassungsentwurfs hängen auch die Parlamentswahlen, die auf ein Verfassungsreferendum folgen sollen. Würde der Ausschuss aufgelöst, würde sich alles verzögern.

"Islamisierung"

Was den Inhalt der neuen Verfassung betrifft, wurde und wird die heißeste Debatte um eine mögliche "Islamisierung" des Textes geführt. Der Ausschuss hat ja einen klaren personellen Überhang an Islamisten: Das Parlament, das ihn bestückt hat, war islamistisch dominiert, dazu kam eine stete Abwanderung von säkularen, liberalen und linken Kräften. Politiker wie Mohamed ElBaradei oder der Nasserist Hamdeen Sabbahi, der bei der Präsidentenwahl Dritter wurde, riefen erst vor wenigen Tagen wieder zum Boykott der Kammer auf.

Wünsche von salafistischen Ausschussmitgliedern, in Artikel zwei der Verfassung anstatt der "Prinzipien der Scharia" die "Scharia" zur hauptsächlichen Rechtsgrundlage zu machen, wurden abgeschmettert. Aber die Dominanz des islamischen Rechts scheint sich durch andere Paragrafen einzuschleichen. Die Demonstrationen am Dienstag galten dem Artikel 36, im Kapitel "Rechte und Pflichten". Der derzeitige Entwurf beinhaltet zwar eine Verpflichtung des Staates, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichheit von Frauen in allen Bereichen des Lebens zu garantieren - aber mit dem Zusatz "ohne dass die Grundsätze des islamischen Rechts verletzt werden".

Rolle der Militärs

Auch Artikel acht wird als Verschlechterung gegenüber dem Verfassungstext von 1971 kritisiert. In ihm garantierte der Staat die Religionsfreiheit, das fällt im neuen Entwurf weg, der lautet: "Die Glaubensfreiheit ist absolut, und religiöse Praktiken werden ausgeübt, sofern sie nicht im Widerspruch zur öffentlichen Ordnung stehen." Experten sehen darin auch eine Gefahr der Einschränkung der Religionspraxis. Dafür würde den "abrahamitischen Religionen" (Judentum, Islam, Christentum) das Recht auf ihre Sakralbauten garantiert. Was in der Praxis eine Verbesserung für Christen - und die scheel angesehenen Schiiten - darstellen würde, ist jedoch gleichzeitig eine Diskriminierung aller anderen Religionen. Das würde vor allem die Bahai treffen, die einmal mehr in einem islamisch geprägten Land schlechtergestellt wären.

Ein Knackpunkt in der Verfassung wird auch die Rolle des Militärs sein, das bisher außerhalb jeder zivilen Kontrolle steht. Der neue Text würde die Budgetoberhoheit dem "Nationalen Verteidigungsrat" überlassen, der vom Präsidenten ernannt wird: also wieder nicht dem Parlament. Ob sich das mächtige Militär, von dem man seit dem Wechsel an der Spitze wenig hört, damit abfindet, ist trotzdem nicht klar, denn viel von seiner Macht würde an den Präsidenten gehen, der jedoch für eine Kriegserklärung die Zustimmung sowohl des Parlaments als auch des Verteidigungsrats bräuchte. Für einen Armeeeinsatz im Inland müsste er den Verteidigungsrat allerdings nur "konsultieren". (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 4.10.2012)