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Martin Walser hat sein Tagebuch im Zug liegen lassen. Für den Finder gibt es 3.000 Euro.

Foto: Felix Kaestle/dapd

Ravensburg - Es muss für einen Schriftsteller ein beinahe unerträglicher Zustand sein: Martin Walser hat sein Tagebuch verloren. Auf einer Zugfahrt von Innsbruck nach Friedrichshafen blieb es auf dem Sitz liegen. "In rotes Leinen gebunden. Drin kein Name, keine Adresse. Ich hatte ja nicht vor, es liegen zu lassen", sagte der 85-jährige Walser ("Das dreizehnte Kapitel") am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa. Schriftsteller könnten nicht reisen ohne zu schreiben. "Und dann lässt du so ein Reise-Tagebuch, lässt du ein aufgeschriebenes Leben im Zug liegen."

Er habe der Deutschen Bahn den Vorfall vom 17. September gemeldet und sei in der "Verlust-Gruppe Bücher, Bilder, Kunstgegenstände" registriert worden - das Tagesbuch sei aber nicht wieder aufgetaucht. Zwar habe er versucht, mit dem Verlust klarzukommen. "Du erlebst: Wenn etwas verloren ist, entsteht ein Gefühl. Nichts entwickelt sich in uns zu solcher Deutlichkeit wie Verlorenes", sagte Walser. "Aber nur das Verlustgefühl nimmt zu, das Verlorene selbst bleibt verloren."

Viel unterwegs

Er sei in den letzten zwölf Monaten viel unterwegs gewesen, in Chicago, Paris, London, Kopenhagen, Helsinki, Brüssel, Luxemburg. "Die Stimmung im Hancock Building in Chicago, November, nachmittags um fünf. In London noch einmal zu Fuß quer durch die Stadt, in der die Welt zu Hause ist. In Helsinki, mein Gott, allein die finnischen Begegnungen." Er frage sich, ob jemand mit seinen Aufzeichnungen dazu etwas anfangen könne. "Mit meinen auf über 200 Seiten notierten Romanplänen, zum Beispiel "Der Gefangene". Oder "Die Inszenierung"? Oder mit dem Entwurf eines Essays über "Liebe ohne Sex und Sex ohne Liebe"?"

Der Rowohlt-Verlag biete dem möglichen Finder nun eine Belohnung von 3.000 Euro. "Warum soll Deutschland immer den Superstar suchen? Vielleicht findet Deutschland das Reisetagebuch eines Schriftstellers. Das wäre doch auch etwas", sagte Walser. "Für den Schriftsteller wäre es eine Erlösung." (APA, 3.10.2012)