SchülerStandard: Hat die Vermittlung der Geschichte des Holocausts an " Ansehen" verloren, in dem Sinne, dass die Schüler übersättigt sind? Sind wir "over-holocausted"?

Lukas Stepanik: Der Film behandelt genau auch diese Frage. Oftmals ist das den Jugendlichen zu viel, weshalb sie auch damit anfangen, den Holocaust mit anderen Genoziden zu vergleichen. Also hat das schon ein bisschen an Ansehen verloren. Vor 20 Jahren hätten sich die Kinder solche Fragen nicht stellen trauen. Es hat etwas Gutes, aber auch etwas Schlechtes, dass das Ansehen langsam verschwindet. Man bringt neue Vergleiche auf und die Menschen zum Reden.

SchülerStandard: Ist die Reaktion auf den Holocaust in den USA anders als in Österreich?

Bernadette Wegenstein: Absolut, weil hier betrifft diese Vergangenheit uns alle als Österreicher. Amerika hat diese Vergangenheit nicht.

SchülerStandard: War diese unterschiedliche Geschichte ausschlaggebend dafür, dass der Film in den USA gedreht wurde?

Stepanik: Nur teilweise. Es hat sich alles auf Leo Bretholz aufgebaut und hat sich dann durch Recherchen immer mehr zu einem Film über ihn entwickelt. Es wird nicht seine Geschichte gezeigt, sondern wie er heute lebt.

SchülerStandard: Worin liegen die Unterschiede bei der Vermittlung im Unterricht und bei den Reaktionen der Schüler zwischen Amerika und Österreich?

Wegenstein: Der Unterschied liegt in der Schuld. Niemand fühlt sich dort als Gruppe gesellschaftlich schuldig, dadurch haben sie einen ganz anderen Zugang. Es wird viel mehr als Lernen angesehen und nicht als Aufarbeitung der persönlichen Geschichte.

SchülerStandard: Sind Sie davon überzeugt, dass sich manche Menschen in Deutschland und Österreich noch heute schuldig fühlen?

Stepanik: Es ist nicht die Frage nach der Kollektivschuld, aber es gibt eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung. Wenn man sich damit nicht auseinandersetzt und sagt, es ist alles in Ordnung, dann wird eben diese Verantwortung nicht erfüllt. (DER STANDARD, 3.10.2012)