Franz Vranitzky, der von 1986 bis 1997 regierte, war der letzte bedeutende sozialdemokratische Kanzler. Daran erinnert man sich, da er den 75er feiert. Und da gleichzeitig Werner Faymann versucht, seine Kanzlerschaft aus Gestaltungsarmut, visionslosem Populismus und ranzig riechenden Inseratenspenden zu retten.

Vranitzky hat in seiner Kanzlerschaft einige entscheidende Weichen zum Besseren gestellt, praktisch-politisch und geistig- moralisch.

In der urösterreichischen Frage des Umgangs mit der NS-Zeit setzte Vranitzky gleich mit dem Beginn seiner Kanzlerschaft einen neuen, unzweideutigen, ja "unösterreichischen" Ton. Er distanzierte sich vom NS-Vergangenheits-Verleugner Kurt Waldheim und wurde im Laufe der Zeit praktisch auch Bundespräsident für Auslandsbeziehungen. Er kippte die Koalition der SPÖ mit der FPÖ, sobald der NS-Verharmloser Jörg Haider zum Parteichef gewählt wurde. Er sprach dann 1991 als erster österreichischer Kanzler von der "Mitverantwortung" der Österreicher für die NS-Verbrechen. Das war nach der aufwühlenden Diskussion um Kurt Waldheim nach innen wie nach außen eine entscheidende Zeichensetzung.

Dabei galt Vranitzky eher als Technokrat, als "Nadelstreif-Sozialist". In der Tat war Vranitzky ein stark wirtschaftsorientierter Pragmatiker. Die Verstaatlichte Indus trie war 1986, als Vranitzky Kanzler wurde, schwer marode. Vranitzky erkannte, dass ohne Teilprivatisierung da nichts zu machen war und handelte entsprechend. Nahezu gleichzeitig entschied seine Regierung, den EU-Beitrittsantrag nach Brüssel zu schicken. Vranitzky, ein überzeugter Europäer, musste erst seine Partei überzeugen.

Die 80er-Jahre waren auch von massiven Skandalen gekennzeichnet. Vranitzky entschloss sich, auch eigene Parteifreunde in Sachen "Lucona" (Proksch) oder "Noricum" nicht zu schützen - auch seinen Exchef Androsch in dessen Steuersache nicht.

Bei Wahlen verlor er einige Prozentpunkte (an den aufstrebenden Haider), blieb aber 1995 mit 38,1 Prozent noch weit über heutigen SPÖ-Werten. Seine strikte Abgrenzung (nicht "Ausgrenzung") von Haider wurde ihm als taktischer Fehler ausgelegt. Eine "Einbindung" von Haider wäre aber wohl so übel ausgegangen wie später bei Schüssel.

Negativ zu werten: Vranitzky und die SPÖ glaubten zu lange an ein Fortbestehen des Ostblocks und Jugoslawiens. Persönlich fragwürdig war, dass er sich nach seiner Kanzlerschaft vom Bawag-Spekulanten Wolfgang Flöttl für eine Euroberatung mit einer Million (Schilling) bezahlen ließ.

Der Unterschied zu heute - nicht nur zu Faymann - besteht darin, dass Vranitzky selten populistisch an Probleme heranging (mit der Ausnahme seines berühmten "Die Pensionen sind sicher"-Briefes im Wahlkampf 1995), sondern meist eine sachliche Lösung suchte. In seiner Haltung zur NS-Vergangenheit riskierte er sogar, populäre Mentalitäten zu irritieren. Er war kein Idol wie ein Raab oder ein Kreisky, aber man respektierte ihn und nahm ihm die Kanzlerrolle ab.  (Hans Rauscher, DER STANDARD, 3.10.2012)