Die Semantik des Protests analysieren Karen Mirza und Brad Butler im Medienturm.

Videostill: Waterside Contemporary, London

Graz - "Wessen das Land, dessen die Religion." Diese Faustformel für den Begriff der Toleranz fand ein Jurist im 17. Jahrhundert. Das Problem dabei: Toleranz ändert nichs an den Herrschaftsverhältnissen, ist kein Akt der Befreiung, sondern wirkt konservierend, erfährt man in Ralf Homanns 55-minütigem Radioessay Alles für Alle in der Ausstellung Intoleranz/Normalität im Grazer Kunstverein.

Die einfache Formel deutet noch ein weiteres Problem an: Religion und Kultus wird zu sehr im Zusammenhang mit Territorien, also Herrschaftsgebieten, gedacht, wodurch sich auch der Begriff des "Kulturkreises" hartnäckig hält. Und das, obwohl sogar sein Erfinder Leo Frobenius ihn als zu mechanistisch ansah und widerrief. Philosoph Ernst Bloch sah den Begriff überhaupt als Beleidigung der Kategorie Raum an. Ein weiterer begrifflicher Irrläufer: die Geopolitik. Karl Haushofer leitete aus dem Begriff des biologischen Lebensraums politische Strategien ab, die leider die Grundlage für die deutsche Außenpolitik der Nazis bildete. Haushofer distanzierte sich, verfiel in Depressionen, beging letztlich Selbstmord.

Homanns aufwändig gestaltetes Radiofeature ist der konkreteste Beitrag der Schau, denn er bildet quasi deren philosophische Basis. Ausgangspunkt von Intoleranz/ Normalität (bis 24. 11.) ist die Annahme, dass rechtsextreme wie rechtspopulistische Politiken nicht mehr tabuisiert, sondern vielmehr immer salonfähiger würden. Ein wichtiger Ansatz, der der Dringlichkeit einer sich kritisch einmischenden Kunst folgt. Wäre da nicht ein Aber. Denn "das Politische ihrer Praxis", so formuliert es der Pressetext, liege "nicht zuletzt auch in der Intransparenz, Poetik und Eigenlogik der künstlerischen Form". Im Klartext heißt das: Die Lesbarkeit der Botschaft wird durch ihre ästhetische Form erheblich erschwert. Gut für Homanns Alles für Alle. Trotz erheblich erschwerten Hörerlebnisses - mangels Ruhezone wandert man mit Kopfhörern rastlos durch die Räume - ist sie die herausragendste, weil unmittelbar verständlichste Arbeit (Live Stream auf Radio-Helsinki, 12. 10., 18 Uhr, 17. 11., 11 Uhr) der trotz Engagements vergeigten Präsentation.

Diese Schwierigkeiten hat auch Realness Respect im Medienturm (bis 7. 12.) zu meistern: Hier bleibt bereits das Thema, das sich um performative Strategien des Protests zu drehen scheint, schwammig. Klar zeichnet sich darin Carola Dertnigs Agitationsmöbel Again Audience ab, eine Rodtschenkos Rednerbühne folgende, mobile und größenvariable Einheit für die Straße. Überzeugend auch die Videoarbeit Situations der Gruppe Claire Fontaine: Sie sieht in der Emanzipation des Einzelnen eine Antwort auf bedrohliche Krisenszenarien. Ihre Protagonisten lassen sich in Selbstverteidigungstechniken schulen.

Das Video deutet das an, was sich in der geglückten Ausstellung Absolute Democracy bei Rotor (bis 21. 12.) verdichtet. Das Politische bleibt in installativen Arbeiten meist im Moment einer Parole stecken, während das Narrativ, etwa im Medium Film, der Vielschichtigkeit der Welt und seiner Politiken entsprechend begegnen kann. Zusammengestellt wurde ein inspirierendes Filmprogramm, das Alternativen zum Kapitalismus und andere demokratische Utopien vorführt: von Pfade durch Utopia über N for Negri bis Notes for a time/bank. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 3.10.2012)