Auf dem Weg in den Westen - und in ein neues Zeitalter: Sal Paradise (Sam Riley, hinten) und seine Gefährten Dean Moriarty (Garrett Hedlund) und Marylou (Kristen Stewart) in "On the Road".

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Wien - In der Reihe der angeblich unverfilmbaren Romane ist dieser ganz weit vorn. Jack Kerouacs On the Road (Unterwegs) hat bereits mehrere Adaptierungsversuche hinter sich, doch bisher war der 1957 erschienene Meilenstein der US-Nachkriegsliteratur jedem zu groß - und wohl auch zu riskant. Francis Ford Coppola, der sich in den 70er-Jahren die Rechte für eine Verfilmung sicherte, hat diese dann erst gar nicht versucht.

Denn Kerouacs Roman gilt nach wie vor einer ganzen Generation als eine Art Heilige Schrift, neben der höchstens William S. Burroughs' Naked Lunch und Allen Ginsbergs Howl bestehen. Erst vor wenigen Jahren erschien die über 500 Seiten starke Urfassung des Romans, die Kerouac bereits 1951 verfasste und in der die realen Personen - wie Neal Cassady und Burroughs - noch nicht durch Pseudonyme ersetzt sind. Dass er dafür eine 40 Meter lange Rolle aus Papierblättern bastelte und seine Erlebnisse wie im Wahn in die Schreibmaschine hämmerte, war der Legendenbildung nicht abträglich.

Als literarisches Manifest bot sich die Geschichte des jungen Poeten Sal Paradise, der sich von New York auf den Weg Richtung Westen macht, um das Nachkriegsamerika nicht nur zu entdecken, sondern mit allen Sinnen zu spüren, nachgerade an. Raus aus dem Mief der kläglichen Bürgerlichkeit, hinein in rasendem Tempo in die einen Aufbruch verkündende Zeit. Dass Kerouac von der Hippie-Generation später vereinnahmt wurde - eine Parallele zu Tolkien und dessen Ring-Trilogie -, liegt an diesem unbändigen Willen zum Neubeginn.

Das Schlimmste, was diesem Lebensstoff hätte passieren können, wäre ein herkömmliches Roadmovie gewesen. Dieser Versuchung ist Walter Salles, der sich bereits mit Die Reise des jungen Che an einer Ikone der Gegenkultur versucht hat, zum Glück nicht erlegen. Stattdessen ist On the Road, von Coppola nunmehr produziert, ein Vignettenfilm geworden. Wie Klebebilder reiht Salles die Erlebnisse des reisenden und dabei ständig in einen kleinen Schreibblock notierenden Dichters (Sam Riley) aneinander, lässt den Erfahrungssüchtigen und dessen Gefährten - allen voran seinen engsten Verbündeten Dean Moriarty (Garrett Hedlund) - wie aus dem Nichts an Schauplätzen zwischen New York, Denver und San Francisco auftauchen und wieder verschwinden.

Diese Miniaturen, aus dem vor sich hin wuchernden Roman herausgeschnitten, erfüllen zwar ihren Zweck dahingehend, dass tatsächlich jede bizarre Begegnung, jede abenteuerliche Frauenbekanntschaft, jeder wahnhafte Rauschzustand wie Knotenpunkte eines Netzes wirken, das sich über die Landkarte Amerikas legt.

Andererseits bekommt der Film dadurch ein enormes Problem: Salles entgeht völlig der für Kerouac wesentliche Abstand zwischen Leben und Schreiben, er macht aus ihm einen Chronisten, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Doch Kerouac war nicht, wie Thoreau am Waldensee, ein freiheitsliebender Beobachter seiner selbst: Er war in jedem Augenblick ganz bei sich. (Michael Pekler, DER STANDARD, 3.10.2012)