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Der Prozess gegen Paolo Gabriele im Vatikan. Zur Beobachtung des Prozesses sind nur wenige Journalisten zugelassen, die erst nach dem Ende der Anhörung darüber berichten dürfen.

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Der Papst hat die Möglichkeit, das Verfahren jederzeit zu beenden.

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Anfangsverdacht, Ermittlungen, Anklageerhebung, Prozessführung und schließlich ein Urteil: Das klassische Prozedere der Rechtsprechung wird auch im Vatikan praktiziert, wie das aktuelle Verfahren gegen den ehemaligen Kammerdiener des Papstes beweist. Paolo Gabriele wird vorgeworfen, vertrauliche Dokumente von Benedikt XVI. veröffentlicht zu haben. Der Prozess im Vatikan könnte aber ein abruptes Ende nehmen, wenn der Pontifex ein Machtwort spricht. Denn er hat die Möglichkeit, den Prozess zu jedem Zeitpunkt zu beenden.

Die Rechtsgrundlage im Vatikan geht zurück auf das Jahr 1929, als die Lateranverträge zwischen Papst Pius XI. und Italiens Diktator Benito Mussolini abgeschlossen wurden. Damit erlangte der Heilige Stuhl seine staatliche Souveränität zurück, die 1870 durch die Einigung Italiens verloren gegangen war.

Italiens Gesetze gelten nicht automatisch im Vatikan

Im Rahmen der Lateranverträge wurde zudem festgelegt, dass italienische Gesetze automatisch auch im Vatikan gelten. Dieser Automatismus wurde 2009 beendet, seitdem müssen neue Gesetze ausdrücklich von der Vatikan-Führung gebilligt werden, bevor sie im Kirchenstaat Gültigkeit haben.

Für kirchenrechtliche Fälle sind im Vatikan die drei höchsten Gerichte zuständig, die Apostolische Pönitentiarie, der Oberste Gerichtshof der Apostolischen Signatur und das Gericht der Römischen Rota. Im aktuellen Fall Paolo Gabriele geht es hingegen um ein ziviles Delikt. Dies wird im Vatikan von einem Tribunal behandelt, das aus einem dreiköpfigen Richtergremium besteht. Es wird vom Papst besetzt, der in der Regel Laien nominiert. Oft befinden sich darunter renommierte Juristen aus Italien. Als zweite Instanz dient das Berufungsgericht, als letzte das Kassationsgericht, dem drei Kardinäle vorstehen. 

Die Allmacht des Papstes

Nach Artikel 1 des Grundgesetzes für den Vatikanstaat ist der Papst die ausführende, die gesetzgebende und die richterliche Gewalt in einem. Er hat die Macht, in jeden laufenden Prozess einzugreifen, der von den genannten Gerichten geführt wird. Er kann die Entscheidungsbefugnisse einer anderen Instanz übertragen, auch sich selbst, und er kann das Verfahren sofort beenden, beispielsweise mit einer Begnadigung. Rechtsmittel für ein päpstliches Eingreifen sind nicht möglich.

Eine solche Intervention des Papstes hat bislang aber nicht stattgefunden. Die Justiz des Vatikans behandelt in der Regel nur kleine Delikte wie Handtaschendiebstahl oder Trickbetrug. Auf größere Fälle wie jenen von Paolo Gabriele ist sie auch gar nicht vorbereitet, diese werden dann aus verschiedensten Gründen an die italienischen Behörden weitergeleitet. Dem Papstattentäter von 1981 beispielsweise, Ali Agca, wurde der Prozess in Italien gemacht, weil der Tatort Petersplatz laut Lateranverträgen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Vatikans fällt. Der Ungar Laszlo Toth beschädigte 1972 Michelangelos Pieta im Petersdom und wurde ebenfalls der italienischen Justiz überstellt.

Italien oder der Vatikan?

Ansonsten gibt es aber keine klaren Zuständigkeitsbereiche für die Justiz Italiens und die des Vatikans, zu komplex ist oft die Indizienlage, wie der Fall Paolo Gabriele zeigt. Der ehemalige Papst-Kammerdiener ist italienischer und vatikanischer Staatsbürger, die Vorwürfe gegen ihn beziehen sich auf Taten, die im Vatikan stattgefunden haben. Dafür sind aber weitere Personen involviert, die wiederum die italienische Staatsbürgerschaft besitzen. Genaue Richtlinien für eine Zusammenarbeit beider Justizapparate existieren ebenfalls nicht. Amtshilfe Italiens ist beispielsweise möglich, muss aber von Fall zu Fall neu verhandelt werden.

Jährlich finden etwa 30 Prozesse im Vatikan statt. Grund dafür ist auch, dass die meisten Einwohner gar keine vatikanischen Staatsbürger sind. Von ihnen gibt es momentan nur rund 420. Einer der größeren Fälle, der im Vatikan behandelt wurde, war der Diebstahl von Teppichen, Porzellan und Silber aus der Wohnung eines Kurienkardinals in den 1980er Jahren. Aufsehen erregte auch ein Drogenprozess im Jahr 2007, als bei einem Vatikan-Mitarbeiter 87 Gramm Kokain entdeckt wurden.

Gefängniszelle gesucht

Dass die Justiz im Vatikan für größere Prozesse nicht gerüstet ist, beweist auch die Tatsache, dass keine richtigen Gefängniszellen existieren, sondern nur kleine Räumlichkeiten für Untersuchungshäftlinge, die gerade einmal Platz für zwei Personen bieten. Sie werden in der Regel als Lager zweckentfremdet. Im Falle einer Verurteilung Gabrieles müsste der Vatikan also Italien um einen Platz in einem seiner Gefängnisse bitten. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 2.10.2012)