Bild nicht mehr verfügbar.

Antiamerikanische Proteste nach Veröffentlichung des Mohammed-Films.

Foto: APA/EPA/Sabangan

Markovits: "Die Europäer hätten gern ein Amerika, das die Schweiz ist."

Foto: privat

derStandard.at: Die Bilanz der vergangenen Wochen lautet: Ein toter US-Botschafter in Libyen, zahlreiche Angriffe auf US-Vertretungen in der ganzen Welt. Und das alles wegen eines Filmes, gedreht von einem ägyptischen Emigranten und US-Bürger. Sind Sie überrascht über die Reaktionen?

Markovits: Natürlich nicht, denn alles, was man den USA ankreiden kann, kreidet man ihnen auch an. Es wird sofort verallgemeinert, als würde der Film eine offizielle Haltung der USA darstellen.

Es gibt eine ganz klare Doppelmoral dahingehend, wer Opfer sein kann und sein darf. Amerikaner können per se keine Opfer sein, weil sie als Kern des sogenannten Establishments wahrgenommen werden. Sozusagen "the global man" und das ultimative Übel. Dieser Film wurde stellvertretend benützt, um dem Ressentiment gegen die USA Ausdruck zu verleihen. Nur um das in Relation zu setzen: Wie oft wird denn dieser Tage vor der syrischen Botschaft in Wien demonstriert?

derStandard.at: Wie kommt es dazu, dass ein Filmproduzent und sein Film mit einem ganzen Land gleichgesetzt werden?

Markovits: Durch ein dichotomes Weltbild, in dem es nur den Starken und den Schwachen gibt. In einem gewissen Sinne ist es ja wunderbar, dass es seit den späten 60er Jahren einen Diskurs der Empathie gibt über Schwache und Benachteiligte und wir heute viel entgegenkommender sind. Das ist eine große demokratische Errungenschaft.

Aber man muss eben auch die Empirie im Blick haben. Das hat man bei den USA nicht und ist sofort mit Schemata da, die die USA nur als Mächtigen darstellen. Hinzu kommt, dass die USA anders als Europa auch kulturell und moralisch als minderwertig angesehen werden. Militärisch und politisch machtvoll, kulturell minderwertig – eine fatale Kombination in Sachen Legitimation und Verständnis.

derStandard.at: Inwiefern unterscheidet sich der europäische Antiamerikanismus von seinem Pendant im Nahen Osten?

Markovits: Grundlegend, weil die USA natürlich eine absolut zentrale Rolle im Nahen Osten spielen und gespielt haben. Im Nahen Osten hat der Antiamerikanismus in diesem Sinne für mich viel mehr Rechtfertigung als in Europa, weil die USA in einigen Ländern und in einigen Kontexten eine sehr widersprüchliche Position einnehmen.

Die Wut, die es im Nahen Osten auf Amerika gibt, kann ich, obwohl ich sie genauso kritisiere, eher nachvollziehen als die Verachtung und die negative Einstellung europäischer Intellektueller. Aber es geht um viel mehr – nicht nur um die Politik der USA, sondern um Ideen und Werte. Die Europäer sehen Amerika als prüde an, für den Rest der Welt ist es allerdings der Inbegriff des Pornografischen. Und für beides wird es angegriffen.

derStandard.at: Woher kommt die Verachtung in den europäischen Staaten?

Markovits: Die USA waren die erste wichtige europäische Kolonie, die sich von Europa trennte und Europa aktiv verneinte. Es kam zu einer revolutionären Neudefinition von Politik, die zum ersten Mal – noch vor der Französischen Revolution – den Menschen als Individuum ins Zentrum der politischen Souveränität und Autorität setzte und eben nicht Könige, Kaiser oder Gott. Das war natürlich ein Affront gegen die aristokratische Vorstellung von Politik, die damals in Europa vorherrschte.

Seither sind europäische Rechte beziehungsweise europäische Konservative immer antiamerikanisch und verachten Amerika als ein neureiches, kulturloses Etwas, das den Kern der Politik und vor allem politische Leitfunktionen nicht versteht und natürlich keine Authentizität besitzt oder Geschmack hat. Die neue Linke griff diese Frage von kultureller Authentizität dann auch auf. Nach dem Motto: Amerika hat ja nur Hollywood. Wir Europäer haben Kultur und Authentizität, Amerika ist Plastik und künstlich.

Und natürlich liebt niemand einen Großen, einen "Mr. Big", wie Josef Joffe die USA treffend bezeichnet hat. Alle hassen Harvard, alle hassen die NY Yankees, Bayern München oder Manchester United. Es gibt sogar für dieses ressentimentgeladene Kollektiv einen Begriff in England: ABU – anybody but United. Amerika stellt genau dies dar. Deshalb gibt es natürlich auch riesige Schadenfreude in der medialen Berichterstattung über Amerika.

derStandard.at: Hat Obama diese Stimmung in Europa nicht entschärfen können nach der Ära Bush?

Markovits: Obama wurde für die Europäer kurz eine Art "Anti-Bush" bzw. ein "guter Amerikaner" oder eigentlich gar kein Amerikaner, sondern eben ein "guter Europäer". Obwohl er natürlich in Europa undenkbar wäre. Undenkbar, dass jemand mit dem Namen Barack Hussein Obama ein deutscher Kanzler oder britischer Premier wird.

Obama ist für mich das quintessenzielle Amerika. Mutter aus Kansas, Vater aus Kenia, aufgewachsen in Hawaii, das College in Los Angeles und New York absolviert, Law School in Harvard und letztlich in Chicago. Genau das ist Amerika. Er ist der Inbegriff des von Intellektuellen heiß geliebten Multikulti, das in Europa noch immer so rar ist und in der Politik eigentlich nicht vorhanden ist.

Obama ist eloquent, ein Weltbürger, alles Attribute, die sich die Europäer selbst zuschreiben – also "einer von uns" und gar kein "richtiger Amerikaner", wie es viele Europäer 2008 empfanden. Dann aber stellt sich plötzlich heraus, er ist doch nicht "einer von uns", weil er Drohnen einsetzt und Bin Laden töten lässt, was zivilisierte Europäer niemals tun würden. Das machen eben nur ungehobelte und aggressive Amerikaner.

derStandard.at: Die Europäer wünschen sich offensichtlich ein Amerika, das nicht mehr ein "Big America" ist. Zurückhaltender.

Markovits: Genau. Einerseits wollen viele Europäer ein verhaltenes Amerika, aber andererseits haben sie nichts dagegen, Amerikas Trittbrettfahrer zu sein. Amerika als Garant der Seewege. Amerika als eine Art Weltpolizist, dem man sich gerne anhängt und den man gerne irgendwie im Hintergrund hat, aber den man eigentlich hasst. Die Europäer hätten gern ein Amerika, das die Schweiz ist. Das wird es nicht spielen, sorry.

derStandard.at: Gibt es im Gegenzug antieuropäische Ressentiments in den USA?

Markovits: Ja, aber nicht als Antwort auf den Antiamerikanismus. Den meisten Amerikanern ist es im Grunde genommen völlig egal, dass viele Europäer antiamerikanisch sind. Das find ich auch gut. Ob bei Schickeria-Partys in Frankfurt, Berlin, Paris, London oder Wien böse und vor allem verachtend über Amerika geredet wird – wen interessiert's? Das ärgert mich vielleicht, aber letztendlich ist das im großen Rahmen egal.

In Europa sind die Eliten antiamerikanisch, das Volk weniger. In den USA ist es umgekehrt. Wer mit europäischem Akzent spricht, hat nirgends so große Vorteile wie im gehobenen amerikanischen Milieu, das Geld hat und die europäische Kultur schätzt. Für die amerikanischen Eliten gibt es nichts Besseres als "European". Was immer das auch heißen mag, ist es von vornherein total positiv konnotiert und codiert. Jeder zweite amerikanische Werbespot hat mittlerweile einen Sprecher mit britischem Akzent. Glauben Sie mir, das Gegenteil passiert in England so gut wie nie.

Aber es gab immer schon eine gehörige Portion Antieuropäismus in Amerika, aber immer mit einer europäischen Nation im Vordergrund. Im 18. und 19. Jahrhundert war es Anti-Britisch-Sein, man kann die Entstehung der amerikanischen Sportarten ohne diese vorherrschenden antibritischen Ressentiments nicht verstehen. Dann war es eine fast hysterische antideutsche Haltung, die besonders während und nach dem Ersten Weltkrieg weit verbreitet war. In den letzten zwei Jahrzehnten gab es weit verbreitete Ressentiments gegen Frankreich. Aber alle Umfragen der letzten fünf Jahrzehnte zeigen, dass eine massive Mehrheit der Amerikaner Europäer und Europa mögen.

Die auf neoliberale Dogmen ausgerichtete und ins rechtsextreme politische Lager abgedriftete Republikanische Partei verwendet den europäischen Wohlfahrtsstaat, um die Demokraten in grotesker Weise schlechtzumachen – als "Sozialisten" und vaterlandslose Gesellen. Aber in Wahrheit ist den Republikanern Europa ziemlich egal.

derStandard.at: Wird der Arabische Frühling im Nahen Osten eher zu einer Verschärfung oder Entspannung führen, was den Antiamerikanismus anlangt?

Markovits: Kurzfristig gesehen wird es sich verschärfen. Aber langfristig glaube ich – auch weil ich ein eingefleischter Demokrat bin, für den die schlechteste Demokratie der besten Diktatur meilenweit vorzuziehen ist -, dass sich das zum Positiven wenden wird. Es ist leider ein Irrglaube und Wunschdenken vieler Intellektueller, anzunehmen, dass das Volk automatisch fortschrittlicher oder toleranter ist als politische Eliten. Das stimmt oft nicht.

Es ist leider der Fall, dass brutale Diktaturen wie die der Baath-Parteien in Syrien und im Irak für Frauen und nebenbei auch für ethnische und religiöse Minderheiten zumindest kurzfristig bessere Regimes waren als die sich jetzt anbahnenden. Eine christliche Ärztin in Bagdad unter Saddam Hussein hatte ein besseres Leben als unter dem jetzigen Regime, und ein christlicher Kaufmann in Damaskus ist bei dem alawitischen Diktator Assad wahrscheinlich besser aufgehoben als unter einer von einer sunnitischen Mehrheit dominierten Demokratie.

Ich glaube aber, dass die derzeitigen Entwicklungen im arabischen Raum langfristig gut sind, weil sie den Leuten Möglichkeiten geben, die sie vorher nicht hatten, und weil sie das Diskussionsfeld der Politik mächtig erweitert haben. (Teresa Eder, derStandard.at, 2.10.2012)