Appetizer: D. Uhlichs "Falco und Doris sind Falcoris". 

Foto: Gottschling

Wien - Der Abend zur Eröffnung der neuen Saison des Tanzquartier Wien war nicht wirklich schnuckelig. Sondern ein weiteres Beispiel dafür, wie sich das Unbehagen an den politischen Verhältnissen nun auch in Tanz und Performance Ausdruck verschafft. Der belgische Kurator Cis Bierinckx versammelte neun Positionen kritischer Kunst, Choreografie und Performance unter dem wie eine Warnung klingenden Titel It is not (a) fair in der TQW-Halle G. Die Künstler bezogen sich darin entweder direkt auf jüngste Ereignisse und Entwicklungen wie Rabih Mroué, Davis Freeman oder Yosi Wanunu, oder sie machten darunterliegende Strukturen sichtbar wie Tsai Ming Liang, Eisa Jocson und Paul Wenninger.

Letzterer posierte in seiner Installation 8 Makis vor einem hölzernen Hochstand. Seine Manageruniform, Anzug plus Krawatte, hatte einen peinlichen Fehler: Ihr war die Hose abhandengekommen. Trotzdem strahlte diese Figur, die sich sehr langsam um die eigene Achse drehte, etwas Bedrohliches aus.

Mit extremer Verlangsamung arbeitet auch der Taiwaner Tsai Ming Liang in seinem Kurzfilm Walker. Nur einen Schritt pro Minute macht ein Mönch in dem urbanen Ameisenhaufen Hongkong. In Händen hält er ein Brot und ein Plastiksackerl, sein Kopf ist stets gesenkt. Ein deplatzierter Körper wie jener der Künstlerin und Pole-Tänzerin Eisa Jocson, die in ihrer Liveperformance Death of the Pole Dancer das Aufreizende der beliebten Stangenakrobatik für Frauen für einen wütenden Angriff auf den voyeuristischen Blick nutzte.

Gerade das Gegenteil zu Jocsons gertenschlankem Leib ist die üppige Frauenfigur in dem sinistren Video The Black Paintings: Dead White Men der Südafrikanerin Tracey Rose. Dieser Loop, in dem eine Namensliste gebetsmühlenartig wiederholt wird, erinnert ungerührt an getötete Alphamänner von Gaddafi bis Malcolm X. Aus Sicht der taumelnden, nackten Frau auf der Leinwand sind diese Promis als Trägerfiguren verschiedener Unterdrückungssysteme allesamt "weiß".

Ähnlich heterogen waren im Vorjahr auch die Botschaften der Occupy-Bewegung. Der aus Kabul stammende US-Filmer Jem Cohen war im Herbst 2011 mit seiner Kamera in New York und filmte dort das Leben im Occupy-Camp. Und es wird deutlich, dass die Inszenierung des Deplatzierten wie bei den erwähnten künstlerischen Arbeiten auch im Aktivismus zu starken Bilden führt.

Und weil es gerade so deplatziert wirkt, die Sozialdemokratie zu loben, hat der Wiener Regisseur Yosi Wanunu bei It is not (a) fair eine Laudatio vor allem auf Bruno Kreisky gehalten. Und zwar so, dass seine unausgesprochene Kritik an der heutigen Sozialdemokratie nicht zu überhören war.

Wanunu hatte am vergangenen Wochenende viel zu tun. Denn bereits am Abend vor seinem Beitrag für das TQW-Programm hatte er im Brut-Theater ein Bed-in veranstaltet und so an der "Night of the bruts" teilgenommen: einer "langen Performance- & Tanznacht" mit dem Haus nahestehenden Künstlern. Dort ging es nicht ganz so politisch her. Und auch nicht ohne Peinlichkeit ab: Denn die meisten Performer waren angehalten, Werbung für die Arbeiten zu machen, die sie demnächst im Brut zeigen werden.

Die Choreografin Anne Juren ließ keine Zweifel offen. Sie nannte ihren Programmbeitrag ironisch einen "Teaser" für das Stück, das sie im November zur Uraufführung bringen wird. Weitere ähnliche Teaser kamen u. a. von dem Kollektiv Austro-Mex, von Frans Poelstra mit Robert Steijn (United Sorry) oder dem Club Burlesque Brutal. Am Ende dieser seltsamen Butterfahrt in die neue Brut-Saison ließ Doris Uhlich nach ihrer Solonummer Falco und Doris sind Falcoris Sektkorken knallen. Insgesamt verhaltener Applaus. (Helmut Ploebst /DER STANDARD, 1. 10. 2012)