Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik ist 2012 gegenüber 2011 auf nahezu demselben niedrigen Stand geblieben. 72 Prozent (2011: 75 Prozent) vertrauen laut OGM-Umfrage für die "Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform" (Sprecher: ÖVP-Senior Heinrich Neisser) der Politik weniger bis gar nicht, bei Politikern selbst sind es gar 80 Prozent (2011: 82). Bei 71 Prozent (2011: 75) ist das Vertrauen in die Politik in den letzten fünf Jahren gesunken.

Und? Was gibt es sonst Neues? Man hat sich schon daran gewöhnt, dass Politik im Allgemeinen und Regierungspolitik von Rot und Schwarz im Besonderen bei den Österreichern etwa den Zustimmungswert von Fußpilz hat. Dennoch sollte man sich fragen, ob wir nicht immer schneller in eine ausgewachsene Systemkrise hineinrutschen. Wir spielen ein bisschen Italien vor 20 Jahren. Dort wurde unter dem Motto "mani pulite" (" saubere Hände") ein unfassbarer Komplex an Korruption und politischer Verkommenheit aufgedeckt. Das Ergebnis war der Zerfall der hauptbelasteten Democrazia Cristiana und der Sozialdemokratie, das Entstehen einer starken rechtspopulistischen Abspaltungsbewegung (Lega Nord) - und die Machtübernahme eines noch viel korrupteren, verantwortungslosen und skandaldurchzogenen Phänomens namens Forza Italia. Wenn man damals mit bürgerlichen Italienern ins Gespräch geriet, konnte man jedes Mal hören: "Silvio Berlusconi ist keiner von diesen typischen Politikern, der ist ein erfolgreicher Unternehmer, der weiß, wie man ein Land saniert." Kommt einem irgendwie bekannt vor - gerade jetzt in Österreich.

Jedenfalls hat Berlusconi Italien, sein politisches System und leider auch seine Wirtschaft und Staatsfinanzen noch mehr ruiniert.

Das wollen wir uns doch ersparen, oder? Der Weg in den Abgrund ist noch nicht absolut vorgezeichnet, obwohl Auflösungserscheinungen bemerkbar sind. Das österreichische politische System hat in den Augen der Mehrheit wahrscheinlich noch genug Legitimität. Die Führer der Regierungsparteien werden irgendwie noch akzeptiert, obwohl es keine besondere Begeisterung für Werner Faymann und Michael Spindelegger gibt. Die zuletzt zutage getretene Korruption wird als noch innerhalb der österreichischen Grenzen betrachtet. Die Radikalopposition durch die Strache-FPÖ erfüllt zwar das Wutbedürfnis vieler Modernisierungsverlierer, aber sogar seine Wähler wissen tief drinnen, dass Strache nicht erfolgreich regieren könnte.

Auf der anderen Seite ist aber kaum positive Energie zu bemerken. Faymann und Spindelegger werden geduldet, aber man erwartet nichts von ihnen. Faymann hat sich durch sein Kneifen vor dem U-Ausschuss persönlich geschadet. Die Konjunktur verdüstert sich, die langfristigen Struktureffekte - einfache Arbeit wird immer weniger gebraucht, aber auch anspruchsvollere Tätigkeiten wandern ab - werden sich immer stärker bemerkbar machen. Problem- und Selbsterkenntnis ist von der jetzigen Führungscrew nicht zu erwarten. Sie oder ihre Nachfolger werden es vermutlich auf die harte Tour lernen müssen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.9.2012)