Den letzten Sonnenstrahlen ans Meer zu folgen war das Ziel. Ich hatte mir freie Tage aus dem Fleisch des Samsararades gerissen. Das Kind in der Schule, der Hund bei Freunden, die Koffer gepackt. Der Weg zur Erholung in Griffweite. Ich dachte an jene Koffergeschichte; die sich im neuen Skylink vulgo Terminal 3 abgespielt hatte und die drei Tage verschlang, bis meine unterhosenlose slowakische Freundin ihre Siebensachen zurückbekam.

Ich dachte an den Flug nach Zürich, bei dem ein junger Wiener über die Sitzreihen zu springen beliebte und einen Mann hinter mir folgenlos bedrohen durfte. Die Sitznachbarin weinte hysterisch. Praktischerweise konnte ich meine Muttertriebe problemlos an ihr ausleben und bekam so die Flugangst besser in den Griff. Beim Rückflug waren die Mitreisenden dafür reizend. Eine Nachwuchseishockeymannschaft. Wir gerieten in heftige Turbulenzen. Auf den Titelblättern der Bordzeitungen prangten Katastrophenfotos. Am Vortag war eine Hockeymannschaft bei einem Absturz über Russland umgekommen. Die Jungs brüllten nun bei jedem Luftloch wie ein Mann und wie am Spieß.

Nein, dachte ich. Diesmal Zug. Bodenständig. Umweltfreundlich. Buchte Viererliegewagen. Kaum fuhr der Zug an, da entdeckten wir, dass wir mitnichten ein Damenabteil erhalten hatten. Auf der oberen Liege hatte sich ein ängstlicher italienischer Jüngling verkrochen, der sich bis Genua totstellte. "Bin ich im Damenabteil?", fragte der in Salzburg zusteigende Hüne hoffnungsvoll. Wir versuchten, harmlos zu bleiben. "Nein, das ist ein gemischter Vierer", sagte ich. Meine Freundin wurde rot.

Der Hüne freute sich. "Sie können mit dem anderen Mann oben schlafen", riet ihm meine Freundin und wurde noch röter. "Irgendwelche Präferenzen?", fragte der Hüne. "Wir liegen lieber unten", sagte sie. Ich floh auf den Gang. "Ich tu euch nichts", rief mir der Hüne nach, zog sich aus und legte sich in Adonis-Pose. Später wurde ihm schlecht, und er ging, um sich zu übergeben. Danach wussten wir: Am Klo funktioniert die Spülung nicht. In der Waschanlage das Wasser. Der Hüne hielt uns die ganze Nacht auf Trab. Jedenfalls akustisch. Der italienische Schaffner tschickte lässig im Gang und war nicht dazu zu bewegen, Decken zur Verfügung zu stellen. Knapp nach der Grenze fiel die Klimaanlage aus. Der Hüne mit Magenproblemen bewies Relativitätstheorie und wurde schlagartig das geringste Übel.

Frühstück bekamen wir auch nicht. Nachdem ich dem Zug aus der Hölle entstieg, schleppte ich mich ins Taxi und verbrachte den Kurzurlaub fiebernd im Hotelbett. Nächstes Mal versuche ich es wie Nils Holgersson mit den Graugänsen. Die sind wenigstens daunenweich. (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 29./30.9.2012)