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Eine Interception die zum Touchdown wurde beschleunigte offenbar eine Einigung zwischen Liga und Schiedsrichter.

Foto: REUTERS/Anthony Bolante

Es wäre ja nicht so, als hätte es sich nicht laut genug angekündigt. Dieses Fiasko für den Sport im Monday Night Game zwischen Seattle und Green Bay. Schon in den ersten zwei Spielwochen wurde klar, dass die von der NFL eingeführten Ersatzschiedsrichter nicht Frau und Herr der Lage am Spielfeld sind. Ein Ding der Unmöglichkeit, wie man heute weiß. Es handelte sich bei den Leuten ja nicht um Schiedsrichter aus der zweiten Reihe, sondern um de facto Footballfans der Neigungsgruppe Regelkunde. Sie wollten von den Stars Autogramme, teilten ihnen mit, dass sie mit ihnen ihre Fantasy Saison bestreiten und regelten die Dinge am Feld innerhalb ihrer Möglichkeiten, welche halt sehr beschränkt waren und sind. Zwei Wochen und 15 Spiele brannte die Lunte, Montagnacht ging die Bombe in Seattle hoch. Russell Wilson ist der erste Quarterback in der Geschichte der NFL, der eine Game Winning Interception geworfen hat. Verschärft mit einer übersehenen Offensive Pass Interference.

Wie kam es überhaupt so weit?

Die Referees, Teilzeitangestellte der Liga, wollten im Frühjahr Vollzeitkräfte werden, mehr Rechte haben, mehr Geld verdienen und in den Genuss einer Pensionsvorsorge kommen. Die Forderungen bewegten sich in einem für die NFL fast lächerlichen finanziellen Rahmen, aber Roger Goodell, welcher angeblich 31 Milliardäre im Griff hat, machte einmal mehr das, was die Geldgeber von ihm verlangen. Die Mauer. In dem Fall den Schiedsrichtern mitteilen, dass sie mit dieser nach Arbeitskampf riechenden Attitüde bei ihm auf Granit stoßen. Wenn sie nicht pfeifen wollen, dann werden das halt andere tun. Und so geschah es dann auch, dass die Liga u.a. Leute verpflichtete, welche in der Lingerie Football League wegen Inkompetenz (!) gefeuert wurden, wie deren Commissioner Mitchell Mortaza jüngst süffisant bekannt gab. Da standen also Herren, die vor kurzem noch ein Holding an einem Spitzenunterhöschen zu beurteilen hatten (und selbst dafür ungeeignet schienen), plötzlich vor Ray Lewis, Aaron Rodgers und Calvin Johnson. Was für ein Wow! Wie im Märchen taumelten die Crews, anfangs noch enthusiastisch, stets jedoch indisponiert, über die Turfs der großen Stadien, starrten ungläubig auf die vollen Ränge, ließen sich vom Stadionlicht an ihren Nasen kitzeln, steckten minutenlang ihre Köpfe zusammen (was war das eben?) und genossen das Blitzlichtgewitter, wie ein mit einer Kompaktkamera bewaffneter Redakteur eines Sumpfblattes, dem aus irgendeinem schweren Irrtum ein Sidelinepass zur Superbowl vermacht wurde. Mama, ich bin im Fernsehen! Manche bekommen 15 Minuten Ruhm, sie bekamen 12 x 15 Minuten. Jede davon war eine zu viel.

Seit heute ist nun Schluss damit. Die NFL ging auf die Forderungen der „Real Refs" ein, ihr Durchschnittsgehalt wird von derzeit 149.000 USD pro Jahr auf 205.000 USD bis 2019 steigen, ab 2017 gibt es dann auch eine Pensionskasse. Geht doch!

Dass Goodell, als Mitverursacher dieser Katastrophe, jetzt noch die Stirn hat, diese Einigung als seinen Erfolg zu verkaufen, zeigt den wahren Charakter des 53-Jährigen. Ohne Rückgrat biegt es sich leichter. Der Mann lebt und liebt offenbar seine Rolle als Erfüllungsgehilfe der Obrigkeit und tritt nach unten, sobald er einen Nutzen darin erkennt. Ob er nun baldigst zurücktritt (das wäre natürlich angebracht) oder nicht: Er wird in den Geschichtsbüchern keinen rühmlichen Eintrag bekommen, ist es nicht das erste Indiz für fehlende Geradlinigkeit und Führungskompetenz.

ESPN zerlegt NFL

Genauso daneben wie er reagierte auch die Liga auf die zur Eskalation führende Fehlentscheidung. Sie räumte zwar ein, dass eine Interference wohl übersehen wurde, es sei aber ein regulärer Catch von Seahawks Receiver Golden Tate gewesen. Was heißt das? Eine Kleinigkeit wurde zwar falsch gemacht, denn das Vergehen einer Fangbehinderung wird bei Hail Marys in die Endzone, auf Grund der erhöhten Anzahl an Spielern in dieser, durchaus mal großzügiger ausgelegt (in dem Fall war es allerdings klar und deutlich), aber insgesamt hätten sie dann doch alles richtig gemacht.

Das führte zu einem weiteren Aufschrei quer durch die USA. Die NFL glaubt offenbar, die Leute sind allesamt dumm. ESPN zerlegte das Play in der Sendung „Science of Sports" und kam zu folgendem Schluss: Tate hatte nie Possession über den Ball, er umklammerte lediglich lange Zeit das Handgelenk des Green Bay Verteidigers MD Jennings, entriss diesem das Spielgerät erst am Boden, als der Spielzug bereits beendet war. Es war also, trotzt einer Pass Interference der Offense (eben Tate an Sam Shields), eine Interception, die zum Touchdown führte. Das i-Tüpfelchen fehlte dann noch: Man musste die Spieler aus den Kabinen holen, um den an sich wertlosen Extrapunkt noch durchzuführen. Auch das steht im anscheinend fremden Regelbuch. Abmoderation: „Nun ist auch wissenschaftlich erwiesen, was wir alle bereits wussten. Bis auf die Referees." Die sahen sich den Spielzug natürlich in der Wiederholung an, hatten allerdings gegen ihre Entscheidung am Feld erstaunlicher Weise nicht das Geringste einzuwenden. Das lässt nur zwei Rückschlüsse zu: Sie wollten, warum auch immer, dass Seattle gewinnt, oder sie wussten es einfach nicht besser.

Im Vertrauen darauf, dass die handelnden Zebras keine Halunken waren, unterstelle ich ihnen Zweites. Sie kennen sich einfach nicht so gut aus. Was völlig egal ist, so lange man nicht in die Situation gebracht wird, womit wir wieder bei Goodell und der Liga sind, so etwas entscheiden zu müssen. Einige Leser werden vielleicht mehr als eine Ahnung von den Regeln, manche sogar einen Schiedsrichterkurs belegt haben, aber würden Sie ein NFL-Spiel leiten wollen? Wahrscheinlich Ja. Würden Sie es auch können? Sicher nicht. Hier hat der Spaß an der Bewegung im Freien über die Vernunft gesiegt und das ist allzu menschlich.

Schuldlose Passagiere

Genau deshalb sind diese Menschen eigentlich schuldlos an der Misere. Es war nicht ihre Idee. Sie waren nur die Passagiere während der Geisterfahrt des Roger Goodell, der ihnen nicht nur das Lenkrad in die Hand drückte, um einen Frontalcrash zu verursachen, sondern der dem Sport damit zum wiederholten Male einen Schaden zugefügt hat. Dieses Mal könnte er irreversibel sein. Man stelle sich nur vor, Green Bay fehlt am Ende der Saison ein Sieg zur Playoff Teilnahme. Ups! Oder San Fancisco fehlt einer zum Gewinn der Division über Seattle. Au weh! Sonstige Auswirkungen in der NFC und den möglichen Impact auf das Playoffbild klammern wir mal aus, aber es könnte sogar einen Superbowl Sieger aus Seattle geben, der nie das Playoff erreichen hätte dürfen. Was dann?

Das einzig „Positive" daran, wenn man so will: Es gab in den vergangenen drei Wochen eine Unzahl an Fehlentscheidungen, so man mit viel gutem Willen sagen könnte, dass alle irgendwie gleichermaßen davon profitiert oder darunter gelitten haben. Denn eines ist schon auch klar: Das Spiel zwischen Seattle und Green Bay wäre an sich ein richtiger Hammer gewesen (acht Sacks an Rodgers in einer Halbzeit) und die Seahawks haben (vielleicht) gar nicht unverdient gewonnen, betrachtet man den gesamten Spielverlauf samt den anderen seltsamen Calls des Abends. Tatsächlich übrig bleibt am Ende halt diese letzte Fehlentscheidung, die den Packers einen Sieg gekostet hat.

New England als Vorbote

Sonntagnacht gab es bereits ein Vorbeben in Maryland. Die New England Patriots verloren mit 30:31 bei den Baltimore Ravens nach einem umstritten Fieldgoal von Justin Tucker. Patriots Headcoach Bill Belichick forderte von den Referees vehement eine Review des Kicks, da aus seiner Sicht der Ball neben die Uprights gesetzt wurde. Die reagierten nicht auf sein Ansinnen, woraufhin Belichick einen der Refs am Arm packte. Kostenpunkt: 50.000 USD. Das Spiel stand ansonsten im Zeichen des Ravens Receiver Torrey Smith, dessen 19-jähriger Bruder kurz zuvor bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Smith erzielte zwei Touchdowns und brach nach der Partie in Tränen aus.

Einem weiteren Mann wurde am Wochenende gedacht. Der große Steve Sabol erlag am vergangenen Dienstag einem Krebsleiden. Der Gründer von NFL Films und einer der innovativsten Filmschaffenden überhaupt (35 Emmys) wurde 69 Jahre alt.

Arizona weiter an der Spitze

In den Turbulenzen der Montagnacht ging so einiges unter. So zum Beispiel die formidable Frühform der Arizona Cardinals, die sich in Woche 3 fortsetzte. Die Cardinals bestätigten ihren Sieg gegen die New England Patriots in Woche 2 mit einem klaren 27:6-Erfolg über die Philadelphia Eagles. Bereits zur Pause stand es 24:0 für die Wüstenvögel, die auch in Hälfte zwei die Gäste aus Pennsylvania stets im Griff hatten. Quarterback Kevin Kolb warf gegen sein Ex-Team 17 Pässe für 222 Yards und zwei Touchdowns, von denen alleine neun der nach wie vor einzige Cardinals Superstar Larry Fitzgerald fing.

Ungeschlagen blieben außerdem die Atlanta Falcons, die in San Diego keine nennenswerten Probleme hatten und Houston, die eine klare Führung bei den Denver Broncos nur fast vergaben und nach Woche 3 das Trio der Weißwesten komplettiert. Alle anderen 29 Teams haben bereits Bekanntschaft mit einer Niederlage gemacht. An San Francisco hätte dabei niemand so schnell gedacht, das gegen Minnesota (!) mit zwei Scores Unterschied unterlag. Es gab aber noch mehr Upsets.

Im Zeichen der Drei

Die Zahl Drei spielte in drei Spielen eine Rolle. Drei Overtimes wurden mit jeweils drei Punkten entschieden und ließen ein Team mit 0-3 zurück. Die New Orleans Saints würden heuer so gerne in der Superbowl stehen, wären sie dann ja auch das erste Team, welches diese im Heimstadion spielen könnte. Doch danach sieht es nach der 24:27-Niederlage gegen Kansas City gar nicht mehr aus. Noch nie schaffte es ein Team nach einem 0-3 Start, noch das Endspiel zu erreichen. Vielleicht sind die Saints die Ersten?

An ihre Rolle als Favoriten müssen sich die ehemals ewigen Underdogs aus Detroit offenbar erst gewöhnen. Nach der Niederlage gegen San Francisco in der Vorwoche, die an sich noch kein Beinbruch war, setzte es für die Lions in Woche 3 aber nun eine gegen Tennessee, die dann doch einigermaßen fragwürdig ist. Die Titans wurden in den ersten beiden Wochen von den 49ers und Patriots nämlich förmlich verprügelt, gegen Detroit klappte es aber zur Überraschung vieler mit dem ersten Saisonsieg.

Eine harte Saison wird es auch für die New York Jets, die gegen die Miami Dolphins hart zu kämpfen hatten. Der Overtime-Sieg in Florida hatte dann auch noch einen bitteren Nachgeschmack. Cornerback Darrelle Revis erlitt einen Kreuzbandriss. Der Ausfall des Dreh- und Angelpunkts der Jets Defense wird offenbar weitreichende Umstellungen nach sich ziehen. So will Headcoach Rex Ryan Runningback Joe McKnight zum Corner umfunktionieren, was dem gar nicht in den Kram passt: „Ich wurde als Runningback geholt. Offenbar bin ich dafür nicht gut genug." Dabei hätte Ryan ja einen Spieler am Roster, der jede Position dankbarst spielen würde...

RG3 und Brady vs. Manning auf PULS 4

Heute Nacht (Freitag 2:20 Uhr) bringt ESPN America das Thursday Night Game Baltimore gegen Cleveland, die Sonntagsspiele dort lauten SF@NYJ (19:00 Uhr), NO@GB (22:00 Uhr) und NYG@PHI (2:15 Uhr Montag). Montagnacht matchen sich dann ab 2:30 morgens (Dienstag) Dallas und Chicago.

Im Free TV zeigt PULS 4 am Sonntag die Partie Tampa Bay vs. Washington und das erstmals aus dem neuen Studio. Der Live Einstieg erfolgt um 23:30 Uhr, sprich im Laufe des zweiten Quarters des Spiels. Alles was davor geschah, wird in den Pausen in zusammenfassender Form gezeigt. Auch das Spiel in Woche 5 steht bei PULS 4 bereits fest: Am 7. Oktober ab 22:45 Uhr wird live die Partie der New England Patriots gegen die Denver Broncos gezeigt. Beide Spiele werden von Michael Eschlböck und meiner Wenigkeit kommentiert. (Walter Reiterer, derStandard.at, 27.9.2012)

NFL Woche 3 Ergebnisse:

Carolina Panthers - New York Giants 7:36
Indianapolis Colts - Jacksonville Jaguars 17:22
Cleveland Browns - Buffalo Bills 14:24
Minnesota Vikings - San Francisco 49ers 24:13
Dallas Cowboys - Tampa Bay Buccaneers 16:10
Tennessee Titans - Detroit Lions 44:41 n.V.
Chicago Bears - St. Louis Rams 23:6
Washington Redskins - Cincinnati Bengals 31:38
Miami Dolphins - New York Jets 20:23 n.V.
New Orleans Saints - Kansas City Chiefs 24:27 n.V.
San Diego Chargers - Atlanta Falcons 3:27
Arizona Cardinals - Philadelphia Eagles 27:6
Denver Broncos - Houston Texans 25:31
Oakland Raiders - Pittsburgh Steelers 34:31
Baltimore Ravens - New England Patriots 31:30
Seattle Seahawks - Green Bay Packers 14:12

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