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Die Protestländer im Überblick:

Fotos: AP/Kudacki/Seco/Nissiotis

Griechenland: Auf dem sozialen Pulverfass

Im vergangenen halben Jahr war es ruhiger auf Athens Straßen. Doch jetzt, Ende September, setzt ein Generalstreik das Land wieder außer Gefecht. Ein Land, in dem ohnehin nichts mehr richtig läuft. Hunderttausende Griechen beteiligen sich an den Protesten gegen das neueste Sparprogramm der Regierung, mit dem das Land gut 11,5 Milliarden Euro einsparen will. Auch wenn die Details noch nicht bekannt sind, Kürzungen von Löhnen und Pensionszahlungen dürften wieder auf dem Programm stehen. Dem ohnehin desolaten Zustand des Gesundheitswesens wird das Sparpaket weiter zusetzen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Griechenland den Gürtel noch ein wenig enger schnallt. Den Geldgebern reichen diese Bemühungen aber nicht. Es wird nicht schnell genug, nicht viel genug, nicht effizient genug gespart. Die angepeilten Sparziele überfordern das Land, sind aber die Grundvoraussetzung dafür, dass die Gelder weiter fließen. So folgt Sparpaket auf Sparpaket, folgt Hilfskredit auf Hilfskredit.

Die Krise ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Arbeitslosenquote in Griechenland liegt bei knapp 25 Prozent. Besonders hart trifft es die Jungen, gut die Hälfte aller 19- bis 24-Jährigen haben keine Arbeit. Immer mehr Obdachlose bevölkern die Straßen Griechenlands. Die Wirtschaft ist das fünfte Jahr in Folge in der Rezession. Löhne und Gehälter - vor allem im staatsnahen Bereich - wurden um bis zu 30 Prozent gekürzt, Pensionszahlungen auf Eis gelegt, Sozialleistungen entweder gestrichen oder massiv eingeschränkt.

Die Stimmung im Land ist immer gedrückter. Je mehr gespart wird, desto weniger Geld landet bei der Bevölkerung. Griechenland gilt als soziales Pulverfass. Verschärft sich die Lage der Bürger weiter, bleiben Lohn- oder Pensionszahlungen aus, brechen Jobs weiter weg, dann bleibt für eine ganze Generation als Zukunftsaussicht nur noch die Hoffnungslosigkeit.

Spanien: Empörtes Sparen

Die Spanier sind empört. Unter diesem Motto protestieren sie seit über einem Jahr gegen das rigorose Sparprogramm der Regierung. Hunderttausende versammeln sich diesen Sommer in mehreren spanischen Städten, um ihrem Ärger Luft zu machen.

Allein in diesem Jahr sollen 27,3 Milliarden Euro eingespart werden. Das geht nicht ohne drastische Einschnitte. Die Bildungsausgaben in Spanien sollen um drei Milliarden gekürzt werden. Die Mehrwertsteuer wird erhöht, dafür das Arbeitslosengeld gekürzt. Angestellten im öffentlichen Dienst wird das Weihnachtsgeld gestrichen. All das zur Rettung Spaniens. Die Protestierenden glauben jedoch nicht mehr, dass dieser Plan aufgeht. Vielmehr beobachten sie eine Verarmung in der Mittelschicht, einen Absturz in die Ausweglosigkeit.

Auch für Spanien ist das nicht das erste Sparpaket. Es ist auch nicht die erste große Protestwelle. Schon im Frühsommer 2011 machten die "Indignados", die Empörten, auf sich aufmerksam. Mit Protestcamps und Massendemonstrationen setzten sie ein gut sichtbares Zeichen: Wir können so nicht leben. Vor allem Junge haben es schwer. Wie in Griechenland hat auch jeder zweite junge Spanier keinen Job. Und damit keine Perspektive.

Während die Spanier also mehr und mehr auf die Straße drängen und der Politik ein Stoppschild entgegenhalten, verhandelt die spanische Regierung mit der EU über ein Hilfspaket für den strauchelnden Bankensektor. Eine Zusage dafür hat Madrid bereits, nun ist nur noch die Höhe offen. Damit wird das Sparen in Spanien kein schnelles Ende finden.

Portugal: Eine Wirtschaft am Boden

Die Portugiesen sind lange Zeit Musterschüler unter den Krisenländern der EU. Regierung und Bürger tragen zunächst die Sanierung der Staatfinanzen mit, die das EU-Rettungspaket vorsieht.

Harte Sparmaßnahmen zeitigen erste Erfolge, das Land reduziert das Budgetdefizit 2011 um fast die Hälfte. Doch Sparen ist ein zweischneidiges Schwert, das haben die Portugiesen noch im selben Jahr feststellen müssen. Die Einschnitte senken nämlich auch die Steuereinnahmen. Seit zwei Jahren hat die Rezession das Land fest im Griff. Die Leute haben weniger Geld, geben weniger aus, die Unternehmen investieren weniger. Die Arbeitslosenquote liegt bei gut 15 Prozent. So landet auch weniger Geld im Säckel des Staates.

Nun entlädt sich der Frust der Bevölkerung auf der Straße. Vor wenigen Tagen marschieren um die 65.000 Portugiesen gegen die Sparpakete der Regierung. Die Wut ist groß. Der Regierungschef soll zurücktreten, die Sparpolitik ein Ende haben. Lautstark und vor allem breit über soziale und gesellschaftliche Schichten verteilt, rollt eine Welle der Entrüstung über das Land hinweg.

Die Protestierenden können erste Erfolge verzeichnen. Ministerpräsident Pedro Passos Coelho will zumindest auf einige geplante Sparmaßnahmen verzichten und dafür über eine Erhöhung der Einkommen-, Kapital- und Vermögenssteuer nachdenken. Allerdings bleibt die Frage offen, wie viel sich Portugals Premier überhaupt selber ausdenken darf, steht das Land doch unter der Beobachtung der Geldgeber EU und IWF. Und von dieser Seite hat man schon klar gemacht: Die Sparziele stehen und sind nicht zu ändern. 

So wird auch in Portugal weiterhin ein Sparpaket das nächste jagen. Zulasten der Bevölkerung und zulasten der Zukunft des Landes. Denn Portugal erlebt derzeit eine massive Auswanderungswelle. So sollen in den vergangenen fünf Jahren 500.000 von insgesamt 10,5 Millionen Portugiesen ihrem Land den Rücken gekehrt haben. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit und Armut. Als Ausweg aus der Krise.

Italien: Sparen für Europas Zuneigung

Das Dolce Vita in Italien wird ein bisschen weniger süß. Die Krise setzt dem Land zu, noch heuer sollen 4,5 Milliarden Euro an öffentlichen Ausgaben eingespart werden. Wie allerorts funktioniert das auch in Italien über die Kürzung von Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und Stellenstreichung. Die Regierung plant zudem, die Mehrwertsteuer anzuheben. Der Bevölkerung schmeckt das alles nur bedingt, im Sommer gehen zehntausende Italiener auf die Straße und protestieren gegen die Sparpolitik.

Sie protestieren auch, weil die Wirtschaft nicht vom Boden kommt. Immer tiefer rutscht Italien in die Rezession. Der Abschwung fußt auf mehreren Beinen. Die Italiener konsumieren weniger, weil sie weniger Geld zur Verfügung haben oder sich wegen der unsicheren Aussichten Sparpolster anlegen. Auch die Unternehmen geben weniger aus, weil sie kein Geld haben oder es lieber sicher im Safe liegen lassen. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Sparpakete dämpfen den Konsum, die Wirtschaft gleitet ab, weniger Ausgaben bedeuten weniger Einnahmen für den Staat, und dann wird wieder gespart.

Unkenrufe zu Italien hört man immer wieder. Das Land brauche Hilfe von der EU, Italien selbst dementiert das bis dato vehement. Weder sei es vonnöten noch irgendwie geplant. Italien erspart sich die Zuneigung Europas. Doch auch in Rom ist man sich bewusst: Es ist ein Drahtseilakt. Noch dulden die Italiener mehr oder weniger stillschweigend die harten Einschnitte. Die Stimmung könnte aber schnell kippen.

Slowenien: Die Krise läutet schon mal an

In Slowenien schrillen die Alarmglocken. Seit über einem Jahr wird gemunkelt, das Land brauche Finanzhilfe aus der EU. Selbst die Regierung gibt mittlerweile zu, dass es um die Finanzen nicht gut steht. Im Land zwischen Karawanken und Adria regiert daher der Rotstift.

Mehr als 800 Millionen Euro sollen heuer eingespart werden. Den Löwenanteil trägt der öffentliche Bereich. Lohnkürzungen, Streichung des Urlaubsgeldes, keine Beförderungen für Beamte mehr. Wie üblich, sind auch der Sozialbereich und die Bildung von Kürzungen betroffen: Kranken- und Arbeitslosengeld, Kindergeld werden gekürzt, einen kostenlosen Kindergartenplatz gibt es nur mehr für das erste Kind.

Proteste organisieren in Slowenien vor allem die Gewerkschaften. Mit ihren Streiks treffen sie aber nicht nur auf Gegenliebe in der Bevölkerung. Jüngsten Umfragen zufolge unterstützt nur die Hälfte der Slowenen die Streiks im öffentlichen Dienst. Noch hat die Krise nicht mit voller Wucht eingeschlgen, auch wenn es der slowenischen Wirtschaft zunehmend schlechter geht. Für das heurige Jahr erwarten Ökonomen einen Abschwung von zwei Prozent. Außerdem dürfte die Arbeitslosigkeit weiter steigen (derzeit bei knapp über elf Prozent) und der private Konsum dramatisch zurückgehen.

Irland: Gute Miene zum Sparspiel

Die Iren folgen den Griechen. Im Herbst 2010 schlüpft der Inselstaat als zweites Euro-Land unter den Rettungsschirm der EU und des Währungsfonds. Mit dem rettenden Geld flattern der irischen Regierung auch die Sparvorgaben der Geldgeber ins Haus. Mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen saniert sich das Land.

Anders als in Griechenland oder Spanien führt der Sparkurs in Irland aber nicht zu einer breiten Protestwelle in der Bevölkerung. Die Anzahl der Streiktage sank im vergangenen Jahr sogar im Vergleich zur Zeit vor der Krise. Das liegt vor allem daran, dass die großen irischen Gewerkschaften der Staatsbediensteten das Sparprogramm von Anfang an mitgetragen haben.

Irland erwartet 2012 einen deutlichen Dämpfer beim Wirtschaftswachstum. Das schreibt hinter die Sparbemühungen auch ein großes Fragezeichen. Die Arbeitslosenquote ist recht hoch, über 14 Prozent der Iren haben keinen Job.

Die EU feierte nahezu, als Irland dieses Jahr über Staatsanleihen wieder Geld an den Finanzmärkten aufnehmen konnte. Irland sei ein Vorbild, wer brav spart, wird am Ende auch belohnt, so der Tenor in der europäischen Politik.

Dabei hätten gerade die Iren eine Möglichkeit gehabt, den Sparmeistern in Brüssel und Dublin einen Denkzettel zu verpassen. Mit der Volksabstimmung zum EU-Fiskalpakt segneten die Iren diesen im Frühling aber ab. Den Regierungen der Eurozone wird der Fiskalpakt noch mehr Disziplin bei den Staatsfinanzen abringen. (Daniela Rom, derStandard.at, 28.9.2012)