US-Gendertroubler in Japan: Terre Thaemlitz.

Foto: Bart Nagel

Es blitzt kräftig in der von Heike Schleper kuratierten Elektromusik-Reihe No Days of Innocence. Denn da wird die Frage gestellt: Schweben die Elektroakustiker dieser Welt nur in ihren Klangwolken, oder stehen sie auch mitten in der Gesellschaft? Der im japanischen Kawasaki lebende Amerikaner Terre Thaemlitz und der Österreicher Franz Pomassl machen das notwendige Statement: Unschuld gibt es keine. Und ja, wir sind dabei.

Pomassl, Mitgründer des Labels Laton, kennt keine lyrische Verspieltheit. Seine Performances sind radikal, laut und gewaltig, mit absurdem dadaistischem Anstrich. Der hoch einflussreiche Elektro-Pionier thematisiert das künstliche Verhältnis zwischen Musiker und seinem elektronischen Werkzeug und kann dabei schon auch einmal die Daten aus den Blackboxes abgestürzter Flugzeuge nutzen. Für ihn gelten die Grenzen menschlicher Wahrnehmung nicht. Dafür gebraucht er Lautstärke, Improvisation und das, was in der elektroakustischen Musik Noise heißt und das Gegenteil harmonischer Soundgebilde meint. In seinen Konzerten vibriert Aufruhr.

Das ist seine Verbindung zu Terre Thaemlitz, der sich in provokanten Selbstinszenierungen und Essays ganz dem Genderthema verschrieben hat. Dem 1968 im US-Bundesstaat Minnesota geborenen Musiker, DJ, Autor und Label-Betreiber (comatonse records) ist die geschlechtliche Zweiteilung in Mann und Frau einen künstlerischen Kampf wert. Seine Identität fächert er mit einer ganzen Reihe von Pseudonymen auf, wie Social Material, G.R.R.L., Teriko oder DJ Sprinkles.

Für Thaemlitz ist allein schon die Frage nach dem Geschlecht eine Beleidigung. Denn die Versuche, eindeutige Geschlechter zu konstruieren, gingen an der Realität vorbei. Damit ist sich der Musiker mit der berühmten Philosophin Judith Butler (Das Unbehagen der Geschlechter), einig. In Thaemlitz' Werk herrscht die Idee vor, dass sich Identitäten prozesshaft bilden, initiiert von Zufällen ebenso wie von Entscheidungen, Zwängen und Begierden.

In seinem jüngsten Album Soulnessless, das vergangenen Frühling mit einem 32-stündigen Piano-Solo als das bisher "längste Album der Geschichte" Einzug in die Musik-Annalen hielt, stellt der Gendertroubler die Idee oder das Ideologem der Seele zur Disposition. Seine Musik umfasst Elemente von Deep House, Ambient, Jazz und Glitch - oder einen computergenerierten Neoexpressionismus. Und die mitgelieferte Auseinandersetzung mit dem Körper machen Thaemlitz' Auftritte zu ganz speziellen Erlebnissen. (Helmut Ploebst, Spezial, DER STANDARD, 28.9.2012)