Wochenlang hat der Fall der Komani-Zwillinge im Herbst 2010 für Aufregung gesorgt: Dass zwei neunjährige Mädchen, die in Oberösterreich aufgewachsen waren, in den Kosovo abgeschoben werden sollten, konnten viele nicht nachvollziehen. Auch die damalige Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) sah sich zu Konsequenzen veranlasst: Der Chef der Fremdenpolizei wurde entlassen, ein eigenes Familienabschiebezentrum eröffnet, und für die Zukunft gelobte Fekter, bei Familienabschiebungen besondere Vorsicht walten zu lassen.

"Familien werden zerrissen"

Die Welle der Empörung ist längst verflacht, auf Fekter folgte ihre Parteikollegin Johanna Mikl-Leitner - und wenn es nach Schilderungen von Menschenrechts-NGOs geht, ist auch von der versprochenen Sensibilität im Umgang mit langansässigen Familien ohne Aufenthaltsrecht nicht mehr viel zu spüren. "Regelmäßig werden Familen zerrissen und Kinder mutter- oder vaterlos gemacht", sagt Alexander Pollack von SOS Mitmensch.

Anny Knapp von der Asylkoordination sieht die Abschiebungen von Langzeitintegrierten in Zusammenhang mit einer Gesetzesänderung, die im Jahr 2014 in Kraft tritt: Dann werden Menschen, die seit fünf Jahren hier leben, ein Bleiberecht erhalten. Für Knapp besteht der Verdacht, dass Menschen, die in den Genuss dieser Regelung kommen könnten, noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschoben werden sollen. 

Mehrere lokale Initiativen machen sich derzeit für Langzeitansässige stark, die von einer Abschiebung bedroht sind. Sie haben sich zur Plattform "Familien und FreundInnen gegen Abschiebung" zusammengeschlossen und rufen gegenwärtig zu "Aktionstagen gegen die Abschiebungswelle" auf. Michael Genner von "Asyl in Not" spricht gar von "Massenabschiebungen".

Ministerium: "Keine Abschiebungswelle"

Das Innenministerium weist das zurück. "Es kann von keiner Abschiebungswelle die Rede sein", sagt dessen Sprecher Karl-Heinz Grundböck. Auch die Statistiken des Ministeriums weisen für das erste Halbjahr 2012 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum keinen Anstieg aus. Von Jänner bis August 2012 hat es 1.238 Abschiebungen gegeben. 

Konfrontiert mit diesen Zahlen, relativiert Michael Genner, dass es "kürzlich eine Abschiebung von 30 bis 40 Nigerianern gegeben hat, und das hat bei uns diesen Eindruck erweckt, dass es eine Abschiebungswelle gibt". Jedenfalls sei eine Zunahme an sensiblen Familienabschiebungen zu bemerken, meint Genner. Verantwortlich dafür seien "extremistische Kreise in der Fremdenpolizei, die scharfmachen wollen".

Wie viele Familien mit Kindern abgeschoben werden, kann das Innenministerium nicht sagen. "Über diese Zahlen verfügen wir nicht", sagt Grundböck.

Die Grünen fordern ein Vorziehen der für 2014 geplanten Bleiberechtsregelung. Bereits jetzt sollten alle, die seit fünf Jahren hier leben, ein Aufenthaltsrecht erhalten, meint deren Migrationssprecherin Alev Korun. "Einige hundert Familien" seien derzeit von einer (teilweisen) Abschiebung bedroht. "Wenn es so weitergeht, wird es im Jahr 2014 niemanden mehr geben, der das neue Bleiberecht bekommen könnte." (Maria Sterkl, derStandard.at, 26.9.2012)