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Den Wohlstandsgesellschaften schmilzt die Erwerbsarbeit weg, so wie den Inuit die Eisberge.

Foto: AP/Mcconnico

Wie viel Arbeit leistet der Mensch, wenn er dabei nicht auf das dafür überwiesene Salär angewiesen ist? Legt er sich auf die faule Haut? Wird er erst dann so richtig kreativ? Ist es für Jugendliche überhaupt attraktiv, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, wenn die monetäre Basis auch ohne Arbeit zu haben ist? Macht dann niemand mehr die schlecht bezahlte Drecksarbeit? Und vor allem: Wer sollte das bezahlen?

Der Streit zwischen Gegnern und Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens wird schon lange mit großer Leidenschaft ausgetragen. Wer dagegen ist, nennt es gern "arbeitsloses Grundeinkommen". Wer sich dafür ausspricht, firmiert gerne unter der Kategorie "guter und gerechter Weltverbesserer".

In Deutschland müht sich DM-Gründer Götz Werner seit Jahren als engagierter Wanderprediger in der Sache ab. In Belgien haben bereits 1986 Wissenschaftler (darunter Philippe Van Parijs, Guy Standing und Claus Offe) das Basic Income European Network (BIEN) gegründet. In Österreich ist ein Netzwerk Grundeinkommen seit dem Jahr 2002 aktiv.

Neuer Elan in der Schweiz

In der Schweiz macht sich seit dem Frühling eine Initiative mit neuem Elan "für ein bedingungsloses Grundeinkommen" stark. Der Baseler Kulturunternehmer Daniel Häni und sein Mitstreiter, der Frankfurter Künstler Enno Schmidt, sind seit 2006 im Dienste der Sache aktiv. Die Initiative steht jetzt vor ihrer größten Herausforderung, will sie doch das Projekt bis zu den Urnen bringen. Häni, Schmidt und Co wollen, dass jeder Mensch, der rechtmäßig in der Schweiz wohnt - egal ob arm oder reich -, monatlich ein garantiertes Einkommen erhält. Das soll auch in der Schweizer Bundesverfassung verankert werden.

Für die Initiatoren ist ein Grundeinkommen nichts weniger als ein Recht. Mit etwa 2.500 Franken (2.060 Euro) monatlich pro Erwachsenen - für Kinder ein Viertel davon - wollen sie erreichen, dass jeder und jede in Würde und Freiheit leben kann, ohne von Existenzsorgen geplagt zu werden. 2.500 Franken entsprechen ungefähr der für die Schweiz statistisch errechneten Armutsschwelle, sind aber deutlich mehr als die Sozialhilfe.

Lohn plus Grundeinkommen

Wer arbeitet, soll mit einem Grundeinkommen genau so viel Geld in der Tasche haben wie zuvor. Ein Erwerbstätiger, der 6.000 Franken Lohn vom Arbeitgeber erhält, würde 2.500 Franken Grundeinkommen und 3.500 Franken Lohn bekommen. Damit würden auch die Lohnkosten sinken, lautet das Argument. Nach dem gleichen System würden Sozialversicherungsnehmer behandelt. Die Preise jedoch müssten stabil gehalten werden; die Differenz würde in Form einer Konsumsteuer für das Grundeinkommen abgeschöpft.

Für die Finanzierung gibt es eine ungefähre Idee. Die Initiatoren veranschlagen die Kosten auf etwa 200 Milliarden Franken jährlich. Davon würden etwa 110 Milliarden Franken via Konsumsteuer in einen Topf für das Grundeinkommen fließen. 70 bis 80 Milliarden Franken könnte der Staat durch wegfallende Sozialausgaben sparen. Wo die restlichen 20 bis 30 Milliarden zu finden sind, ist noch offen. Möglich sei ein Solidaritätszuschlag für Reiche. Im vorgeschlagenen Verfassungstext habe man diese Fragen bewusst offen gelassen. Zunächst gehe es um ein grundsätzliches Ja, in einem zweiten Schritt müssten Parlament und Volk über die Geldfrage entscheiden.

Eine Befreiung

Die Schweizer Grundeinkommensverfechter sehen in einem Grundeinkommen eine Befreiung - ähnlich der Pensionsversicherung bei ihrer Einführung. Die Schweiz war in den vergangenen 50 Jahren eine Erfolgsgeschichte, wie der Publizist Daniel Straub der "Neuen Zürcher Zeitung" sagte. Die Wirtschaft sei aber mit einem Systemfehler behaftet: Da sie immer produktiver werden muss, verlieren immer mehr Menschen ihre Arbeit. Ein Grundeinkommen wäre aus Sicht des Grundeinkommen-Komitees keine Revolution, sondern die "logische Fortsetzung der Erfolgsgeschichte Schweiz" und eine "Weiterentwicklung der Demokratie". Es sei utopischer, sich die Schweiz im Jahre 2050 ohne Grundeinkommen und mit Vollbeschäftigung vorzustellen.

Am Mond leben aber auch die Schweizer nicht: Man sei sich bewusst, dass das Grundeinkommen an ähnlichen Problemen kranken könnte wie die Pensionsversicherung. Diese sollte gemäß Verfassung existenzsichernd sein, ist dafür aber zu niedrig. Versteckter Sozialabbau, höherer Zuzug von Migranten: Um Problemen vorzubeugen, brauche es entsprechende Rahmenbedingungen, weiß auch das eidgenössische Komitee und will die Diskussion darüber anstoßen. Am 21. April begann die Aktion. Wenn bis Oktober 2013 100.000 Menschen unterschreiben, kann das Schweizer Volk über das Grundeinkommen abstimmen.

Grundeinkommen in der Praxis

Mancherorts wird das Modell übrigens auch schon in Ansätzen ausprobiert. In Alaska zum Beispiel verteilt man seit den 1970er Jahren Erdöldividenden an Leute, die fünf Jahre im Land leben. Der Betrag ist allerdings nicht existenzsichernd und nicht sonderlich hoch. Im Jahr 2008 waren es etwa um die 2.000 US-Dollar pro Person und Jahr.

Auch in China gibt es ein "gallisches Dorf". In Tengtou in der südchinesischen Provinz Zhejiang setzt man auf nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Potenzielle Investoren und umweltgefährdende Unternehmen wurden dort bewusst ablehnt. Wohlstand brachte vor allem der blühende Ökotourismus. Im Öko-Dorf ist es eine beliebte Attraktion, Trauben selbst pflücken zu dürfen. An guten Tagen sind es mehr als 1.000 Touristen, die durch den kleinen örtlichen Nachhaltigkeitspark wandern.

Geheimnis: Den Wohlstand fair verteilen

Heute versorgt Tengtou jeden Bürger monatlich mit 650 Kuai, umgerechnet 70 Euro Grundeinkommen. Wie man das geschafft hat? Das Geheimnis besteht offenbar zu einem guten Teil darin, den erwirtschafteten Wohlstand von Anfang an fair zu teilen. Schon in den 1980ern wurde für alle Dorfbewohner eine Wohnsiedlung gebaut, die damals weit über den Standards lag. Später dann, als Tengtou wirklich reich geworden war, konnten die Dorfbewohner Villenbesitzer werden. Spezieller Dorfpreis: 9.000 Euro.

Was ist mit der gern von Grundeinkommens-Gegnern ins Treffen geführte Beschäftigungsbremse? Zumindest in Alaska kann dort laut Untersuchungen keine Rede sein, eher im Gegenteil. In den Inuit-Regionen werden diese Gelder verwendet, um kleine Unternehmen zu gründen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 26.9.2012)