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Fußballstar und prominentes Besatzungskind: Helmut Köglberger wuchs als Kind eines US-Soldaten bei seiner Großmutter auf.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

"Ihr habt uns als 'Schande' hier gelassen, aber die Schande liegt bei Euch, weil Ihr als Väter absolut versagt habt. Wir sind ja nicht nur obligatorisches Strandgut eines Krieges, sondern Kinder, die ein Verlangen danach haben, ihrem Vater ein Gesicht und eine Geschichte geben zu können." 1995, zu den Feierlichkeiten 50 Jahre nach Kriegsende, richtete Brigitte Rupp diese Worte in einem berührenden Brief an Paul Wade Brown, der im STANDARD veröffentlicht wurde.

Viel mehr als ein Foto und den Namen ihres Vaters, eines britischen Besatzungssoldaten, hatte sie damals nicht. Ein fescher Kerl war er, als er 27-jährig ihrer um vier Jahre jüngeren Mutter im Grazer Offizierskasino über den Weg lief: der Beginn einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte.

Kurz nach Brigitte Rupps Geburt im Juni 1946 hatte er sich allerdings bereits aus dem Staub gemacht: "Und für mich begann das Drama, das mich mit vielen Besatzungskindern verbindet", sagt Rupp heute. Auf eine schwere Kindheit, die sie zum Teil getrennt von der tuberkulosekranken Mutter im Kinderheim verbrachte, "geprägt von Sprachlosigkeit", folgte eine rebellische Jugend - und "eine brüchige, suchende Biografie", wie Rupp rückblickend feststellt.

Mit 16 brach sie die Lehre ab und ging nach England, fand tatsächlich den Vater im Telefonbuch und rief an. Als sie ihm eröffnete, seine Tochter zu sein, verleugnete er sie. Verletzt und verunsichert, nahm sie erst später die Suche immer wieder auf, "ständig begleitet von einem Loch". Erst jetzt, 50 Jahre später, hat sie Gewissheit über ihren Vater. " Seit sechs Wochen haut es mich permanent vom Hocker", erzählt sie. Seit diesem Zeitpunkt weiß sie, dass ihr Vater 2007 verstorben ist. Und dass sie zwei Halbschwestern und einen Halbbruder in Neuseeland hat.

Ganz in ihrer Nähe, ausgerechnet im Landesarchiv Graz war Rupp auf eine entscheidende Quelle gestoßen, aus der hervorging, dass sich ihr Vater Wade-Brown, also mit Bindestrich, schrieb, was die möglichen Kandidaten erheblich einschränkte. So kam sie auf Celia Wade-Brown. Die Bürgermeisterin von Wellington hieß sie nach einem ersten Schock willkommen in der Familie, ein Treffen ist geplant. Die andere Halbschwester, die Rupp wie aus dem Gesicht geschnitten ist, zeigt sich noch etwas skeptisch. Brigitte Rupp wird jedenfalls nicht nachlassen: " Ich habe einen emotionalen Anspruch, meinen Platz in der Vaterfamilie einzunehmen."

Die lebenslange Suche nach einer zweiten Familienhälfte, das brennende Verlangen, mit den Lebenslügen aufzuräumen, mit denen sie sich oft abfinden mussten, das eint viele der Kinder, die aus Beziehungen zwischen Österreicherinnen und Besatzungssoldaten entstammen. Lange Zeit waren sie auch Stiefkinder der Forschung, die erst in den letzten Jahren begann, diesen Aspekt der Nachkriegsgeschichte bruchstückhaft aufzuarbeiten.

Vater: unbekannt

Mittlerweile seit zehn Jahren widmet sich Barbara Stelzl-Marx diesem Thema. "Es hat mich interessiert, und sonst war keiner dafür zuständig", sagt sie. Die Historikerin vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung hat nun die erste internationale wissenschaftliche Konferenz zu "Besatzungskindern in Österreich und Deutschland" organisiert, die morgen, Donnerstag, an der Diplomatischen Akademie in Wien stattfindet.

Über die "Kinder des Feindes", als die sie auch nach der Befreiung noch galten, gibt es wenig gesicherte Daten. 8000 "Soldatenkinder" wurden zwischen 1946 und 1953 in den einzelnen Bundesländern registriert, Schätzungen gehen aber von mindestens 20.000 österreichischen Besatzungskindern aus - als Folge freiwilliger Beziehungen jeglicher Art, aber auch nach Vergewaltigungen.

Viele Mütter gaben bei der Geburt "Vater: unbekannt" an, aus Angst vor der "Schande", zumal es sich auch um außereheliche Kinder handelte. Nur wenige Soldaten der westlichen Besatzungsmächte blieben - trotz der Aufhebung des Fraternisierungsverbots, was Eheschließungen ermöglichte - oder nahmen die Frauen als "war brides" mit in die Heimat. Eine aufrechte Beziehung zu sowjetischen Besatzungssoldaten war so gut wie unmöglich.

Den Frauen wurde es übelgenommen, sich mit den Besatzern einzulassen. Schimpfworte wie "Schoko-Lady", "Engländerhure", "Franzosenschickse", "Salzach-Geisha" oder "Dollarflitscherl" geben davon ein Bild. Kinder wurden noch bis in die 60er-Jahre als "Russenbälger" stigmatisiert.

"99 Prozent wuchsen in einer nicht intakten Familie auf", sagt Stelzl Marx. "Es ist nicht nur eine vaterlose Generation, viele Besatzungskinder wuchsen auch fern der Mutter auf." So wie die Fußballlegende Helmut Köglberger. Seine Mutter - jung und ledig - gab den Spross eines schwarzen US-Soldaten wenige Monate nach der Geburt weg. Er wurde von Verwandten herumgereicht, bis er bei der Großmutter in Sierning in ärmlichen Verhältnissen landete.

Schweigen und Adoptionen

Seine Mutter sah Köglberger nur noch an Feiertagen, die Fragen über seinen Vater, die spätestens mit elf, zwölf Jahren auftauchten, wurden konsequent abgewehrt. "Ich stand vor einer Mauer des Schweigens", schildert Köglberger, der auch an der Tagung teilnehmen wird. "Ich weiß nichts. Ich weiß nicht, ob es eine Beziehung war, ein One-Night-Stand, eine Affäre." Dem Fußball habe er es zu verdanken, dass er Anerkennung fand und rassistische Bemerkungen wegstecken konnte. Die Wunden sitzen dennoch tief. Jahrelang hat er den Kontakt zur Mutter abgebrochen, bis er ihr kurz vor ihrem Tod verzieh. "Es hat schon wehgetan."

Völlig unbekannt ist hingegen das Schicksal farbiger Kinder von US-amerikanischen Besatzungssoldaten, die in die USA verfrachtet und dort an Adoptiveltern übergeben wurden. Der Historiker Niko Wahl erforscht, wie viele Kinder Österreich so verließen und welche Rolle sozialer Druck auf die Mütter und Jugendämter spielte. "Statistisch gesehen könnte es 5000 schwarze Besatzungskinder geben", schätzt Wahl. Mithilfe von US-Archiven und Passagierlisten von Fluglinien hoffen er und sein Team, Adoptivkinder aufzuspüren.

Jeder noch so kleinen Spur von ihrem Vater folgt auch Eleonore Dupuis, die in St. Pölten als Tochter eines russischen Besatzungssoldaten geboren wurde. Doch die Anhaltspunkte sind dürftig. "Er hieß Michail Groman oder Grosman und kam angeblich aus Twer", sagt Dupuis. Erst Mitte der 1990er-Jahre, nachdem sie durch die halbe Welt gezogen war, begann sie, nach ihren Wurzeln zu suchen. Sie schrieb Briefe, durchforstete Archive, wandte sich an Medien - und begann schließlich Russisch zu lernen. Eine zweite Familie hat sie nicht gefunden, dafür aber eine Menge Freunde und Helfer, die sie regelmäßig in Russland besucht. Trotz einiger herber Enttäuschungen bleibt sie hartnäckig: "Solange eine Möglichkeit besteht, suche ich weiter."

Biografien aufarbeiten

Eleonore Dupuis war das erste Besatzungskind, dem Barbara Stelzl-Marx auf die Spur half. Seither hat sie mit rund 150 Frauen und Männern mit Vätern aus allen Zonen Kontakt geknüpft. Ihnen hat sie auch ein Kapitel in ihrer kürzlich bei Böhlau veröffentlichten Habilitation "Stalins Soldaten in Österreich. Die Innensicht der sowjetischen Besatzung" gewidmet, die mit Unterstützung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entstand. Jetzt will sie in einem vom Zukunftsfonds finanzierten Projekt eine umfassende Aufarbeitung der rechtlichen Situation und der biografischen Verläufe starten: "Es gibt viele Einzelarbeiten, aber es fehlt ein kompletter Überblick", sagt die Historikerin.

Auch wenn sich die Besatzungskinder in Österreich langsam von den Ächtungen und Verheimlichungen lösen könen - die Kinder von Wehrmachtssoldaten an der Ostfront sind immer noch ein absolutes Tabu. Eine Million Kinder könnten es laut Schätzungen es sein, die einen unbekannten österreichischen oder deutschen Vater haben. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 26.9.2012)