Anlässlich des Schmähvideos äußerte sich Henryk M. Broder im STANDARD zu den Ausschreitungen in der islamischen Welt, das sei bloß "kindischer Trotz". Die sollen sich mal nicht so haben. Wir rasten ja auch nicht gleich aus, wenn jemand unsere religiösen Symbole durch den Dreck zieht. Und nur nicht mit zweierlei Maß messen. Man sollte auch von Muslimen erwarten können, dass sie "Religionskritik aushalten".

Kalkulierte Provokation

Zunächst wäre festzuhalten, dass Schmähen und Beleidigen nichts mit Religionskritik zu tun hat. Wer eine "zivilisierte" Reaktion auf das betreffende Video einfordert, müsste sich auch fragen, inwieweit dieses selbst zivilisiert ist.

Aber das ist gar nicht der zentrale Punkt. Es geht vielmehr um Folgendes: Viele Muslime rasten aus und lassen ihrer Wut in Gewaltakten freien Lauf, wenn ihre Religion beschimpft wird. Das ist erschütternd und bedauernswert, aber es ist vorhersehbar, ja mehr noch, es ist kalkulierbar. Wer also die islamische  Religion öffentlich beschimpft, tut dies sicherlich nicht, um in aller Unschuld von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen und ist wohl auch nicht so blauäugig, dass er sich im Nachhinein über die damit ausgelöste Welle der Gewalt wundern müßte. Nein, er verfolgt damit ein eindeutiges Ziel: er will provozieren und destabilisieren und nimmt dabei in Kauf, dass Menschen verletzt und getötet werden.

Rechtfertigung für Gegengewalt?

Ob es ein Einzelner ist, dessen perverse Phantasien im Klima des Fremdenhasses gedeihen oder ob es politische Gruppen sind, die ihre Strategien verfolgen, es ist ziemlich klar, dass die gewalttätigen Reaktionen von den Urhebern der Provokation gewollt waren, und dass deren Ziel darin bestand, das Feindbild des Islam zu stärken und die Gegensätze zur westlichen Kultur zu verschärfen, um damit eine Rechtfertigung für Gegengewalt zu schaffen.

Dass der Film ein billiges Machwerk ist, tut, was die Reaktionen anbelangt, nichts zur Sache. Es zeigt nur eins: den Machern ging es wohl nicht um ein Filmkunstwerk, sie wollten bloß mit wenigen Mitteln und in kurzer Zeit ihr politisches Ziel erreichen.

Also: das Video aus dem Verkehr ziehen? Die Macher zur Rechenschaft ziehen? Nein, die Trotzreaktionen des Westens folgen auf dem Fuß: "Man wird ja wohl noch seine Meinung sagen dürfen." "Wir werden uns doch nicht aus Angst vor denen den Mund verbieten lassen."

Üble Demagogie unter dem Deckmantel der Demokratie

Die Freiheit der Meinungsäußerung ist zweifellos einer der bedeutendsten demokratischen Werte. Doch gerade in dieser Hinsicht ist Demokratie auch besonders verwundbar: Unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung lässt sich übelste Demagogie betreiben. Oft sind dann diejenigen, die am lautesten dieses Recht für sich einfordern, die ersten es anderen zu verwehren. Nicht umsonst gibt es bei uns spezifische Einschränkungen dieser Freiheit, wenn es um das Leugnen des Holocausts oder die Verbreitung von Nazi-Gedankengut geht. Nicht zuletzt und mit vollem Recht gilt dies auch für Hasspredigten radikaler Muslime.

Lügen und Hasstiraden können nicht ohne weiteres als freie Meinung gelten. Man muss den Provokateuren auch das Maul verbieten können. Im konkreten Fall wären zuallererst Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Schmähvideos angebracht. Das hat nichts mit klein beigeben gegenüber gewalttätigen Muslimen zu tun, im Gegenteil es würde den Vertretern der westlichen Kultur überhaupt erst die Legitimation geben, ihnen die Stirn zu bieten. (Giovanni Dellefant, Leserkommentar, derStandard.at, 1.10.2012)