"Die Konzentration und der Respekt vor den weiten Sprüngen verlangen dir schon Einiges ab."

Foto: Walkner

"Zach muss man sein."

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"Wenn man zu taktieren oder denken anfängt, ist man abgelenkt und macht Fehler."

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"Es war für mich keine gmahte Wiesn."

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"Wenn 40 Fahrer zu Musik von AC/DC losstarten, dann kriegt man eine Ganslhaut."

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"Jeder sieht immer das Negative. Den Lärm, die Umweltbelastung."

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"Mein Handy ist nicht lange ruhig. Für mich ist das nicht alltäglich und ich freue mich riesig."

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"Da bleibt nicht viel Zeit zum Entspannen."

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"An der Rennstrecke in Teutschenthal, die in einem Talkessel liegt, waren rund 30.000 Zuschauer. Dort herrschte Stadionathmosphäre mit gewaltig geiler Stimmung."

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Wien - Matthias Walkner darf sich seit Sonntag Motocross-Weltmeister der Klasse MX3 nennen. Der Salzburger sprach mit Thomas Hirner über das packende WM-Finale in Deutschland, über Taktik, Risiko, die Sucht, Rehe und Hasen neben der Strecke und die Ressentiments gegen Motorsport in Österreich. Er berichtet, welche Rolle der Vater von Marcel Hirscher in seinem Sportlerleben spielt, worauf es beim Motocross ankommt und warum Straßenrennen für ihn keine Alternative sind.

derStandard.at: Nervt es Sie, wenn Moto-Cross-Maschinen als Gatschhupfer bezeichnet werden?

Walkner: Nein, mit dem Begriff bin ich eigentlich schon lange nicht mehr konfrontiert worden. Aber im Prinzip sind wir ja auch Gatschhupfer.

derStandard.at: Das Verletzungsrisiko im Motocrosssport ist nicht unbeträchtlich. Wie geht man damit um?

Walkner: Beim Start geht es immer ziemlich ab, weil 40 Leute auf die erste Kurve hinfahren. Da der Start extrem wichtig ist, weil man viel verlieren kann, wird auch viel riskiert. Dabei hat man nicht immer selber alles in der Hand, was dann passiert. Aber danach muss man selber seine Grenzen kennen und ich glaube, dass ich sie gut kenne. Ich fahre seit zwölf Jahren Motocross und habe in der Zeit nur zwei gröbere Verletzungen gehabt. Natürlich spielt auch die körperliche Fitness eine wichtige Rolle. Und zach, wie man bei uns sagt, muss man sein.

derStandard.at: Wie wird man ein guter Starter?

Walkner: Als Sieger der Qualifikation kann ich mir den besten Platz am Startgatter aussuchen, das ist ein Vorteil. Von den ersten 15 Positionen aus kann man den Start nach Pi mal Daumen gewinnen. Wichtig ist die perfekte Balance, damit einerseits viel Grip am Hinterrad ist, aber andererseits auch das Vorderrad nicht aufsteigt. Ich habe mit Ferdl Hirscher gemeinsam die beste Startposition erarbeitet, hunderte Male probiert und mich in dieser Hinsicht stark verbessert.

derStandard.at: Sie werden von Ferdinand Hirscher, dem Vater von Marcel Hirscher betreut. Welche Tipps gibt er Ihnen?

Walkner: Die Hilfe zur Optimierung der Starts war schon eine große Hilfe. Als Motocross-Fahrer ist man ein Einzelsportler und profitiert schon sehr, wenn sich noch jemand Gedanken macht. Er weist mich auf Fehler hin und animiert mich, etwas zu probieren. Ich habe das, was mir weiterhilft, herausgefiltert, versucht es umzusetzen und das klappt nun seit ein paar Monaten ganz gut. Er ist ziemlich extrem in dem was er macht. Wenn er etwas macht, dann macht er das gescheit. Er ist mehr oder weniger als Laie zum Motocross gekommen, hat sich die besten hundert Fahrer hundert Mal angeschaut, die Feinheiten herausgearbeitet und sich so ein Wissen angeeignet. Entscheidender Unterschied zu anderen Trainern ist, dass er ganz anders an die Sache herangeht, weil er vom Skisport kommt. Er sagt immer, wer am meisten will, der gewinnt auch.

derStandard.at: Wie schwierig war das Rennen in Deutschland? Wie groß die mentale Belastung?

Walkner: Es war nicht so leicht, weil schon im Vorfeld des Rennens sehr viel Wirbel um mich war. Und ich weiß natürlich, wie schnell es im Motocross gehen kann. Das habe ich in England erlebt, als ich einen Patschen hatte. Man kann auch leicht beim Start in eine Kollision verwickelt werden. Von dem her war es für mich keine gmahte Wiesn. Ich habe versucht, alles wie bei den Rennen davor zu machen, voll konzentriert an den Start zu gehen und kein unnötiges Risiko einzugehen.

Aber es hat richtig Spaß gemacht in Teutschenthal, an der Rennstrecke, die in einem Talkessel liegt, waren rund 30.000 Zuschauer. Dort herrschte Stadionathmosphäre mit gewaltig geiler Stimmung. Wenn dann 40 Fahrer zu Musik von AC/DC losstarten, dann kriegt man eine Ganslhaut.

derStandard.at: Wie war Ihre Taktik für das alles entscheidende Rennwochenende?

Walkner: Ich hatte keine. Wenn ich am Start stehe, dann muss ich mich auf Anderes konzentrieren. Wichtig ist der Start und den habe ich zum Glück ideal hingekriegt. Leider habe ich von Beginn an ein zu hohes Tempo gewählt, habe mich dann ein wenig verkrampft und bin auf den dritten Platz zurückgefallen, habe aber auf die Verfolger einen großen Vorsprung halten können. Die letzten drei Runden fängt man dann schon zu denken an, ob schon nach dem ersten Lauf alles klar sein wird. Aber normalerweise versuche ich, das alles auszublenden, denn wenn man zu taktieren oder denken anfängt, ist man abgelenkt und macht Fehler.

derStandard.at: Wie groß ist das mediale Interesse nach Ihrem Erfolg?

Walkner: Extrem groß. Radiosender aus Österreich und Bayern sowie zahlreiche Tageszeitungen haben mich kontaktiert. Ich finde das extrem cool. Mein Handy ist nicht lange ruhig. Für mich ist das nicht alltäglich und ich freue mich riesig, dass es so ein großes Interesse gibt und dass sich so viele Leute mit mir freuen. Eine tolle Geschichte.

derStandard.at: Wie anstrengend ist ein Rennwochenende?

Walkner: Schon ziemlich. Am Donnerstag war ich noch wie üblich mit dem Rennmotorrad trainieren, dann alles waschen bis zehn Uhr am Abend, den Bus einräumen. Um sieben in der Früh ging es los Richtung Deutschland. Ankunft um vier. Abnahme, alles aufbauen. Am Samstag gibt es zwei Trainings und ein Qualifikationsrennen. Am Sonntag dann ein Warm-up und zwei Läufe. Dazwischen wird am Setup gearbeitet. Da bleibt nicht viel Zeit zum Entspannen. Warm-up und die zwei Rennen bewältigt man mit einem Puls von 160 bis 190. Auch die Konzentration und der Respekt vor den weiten Sprüngen verlangen dir schon Einiges ab.

derStandard.at: Wie hoch ist die Spitzengeschwindigkeit und wie weit gehen die Sprünge?

Walkner: Die Spitzengeschwindigkeit bewegt sich zwischen 100 und 120 km/h, aber die Durchschnittsgeschwindigkeit darf laut Reglement 60 km/h nicht überschreiten. Die Sprünge werden immer spektakulärer, gehen oft 40 Meter weit und man muss auf zwei Meter genau hinspringen, damit man ideal in die nächste Kurve kommt. Wenn man zu kurz oder zu weit springt dann detoniert man förmlich hinein. Man muss permanent voll konzentriert sein, was mental voll anstrengend ist.

derStandard.at: Ihre Akkus laden Sie mit deftiger Hausmannskost auf?

Walkner: Ich schaue, dass ich die Tage davor viele Kohlenhydrate zu mir nehme, viel trinke und keinen Schas wie Schokolade esse. Am Abend esse ich ganz normal kohlenhydrat- und eiweißreich. Unter Tags habe ich auf Grund der Anspannung nicht viel Appetit, da gibt es oft Haferschleimbrei mit Bananen und Honig.

derStandard.at: Wie groß ist der Materialverschleiß an einem Wochenende?

Walkner: An einem trockenen Wochenende halb so wild, da braucht man zwei Garnituren Reifen. Bei einer Gatschpartie oder einem Rennen auf Sand, der wie Schleifpapier auf die Maschine wirkt, ist es ganz anders, da muss man das Motorrad danach komplett neu aufbauen. Für zwei Stunden Fahren muss man zehn Stunden Arbeit am Motorrad kalkulieren. Zum Glück habe ich einen Mechaniker. Ich erhalte perfekte Unterstützung von KTM, für die ich schon seit 2004 Testfahrer bin.

Die Arbeit am Motorrad muss immer gewissenhaft erledigt werden. Angenommen ein Tropfen Wasser kommt beim Waschen zum Zündkerzenstecker und der wird nicht ausgeblasen, dann könnte es sein, dass der Funke nicht ideal springt und der Motor ein wenig stottert. Das würde bei einem Sprung schlimm ausgehen.

derStandard.at: Welchen Anteil hat das Material, welchen der Fahrer?

Walkner: Beim Motocross ist das ziemlich cool im Gegensatz zur Formel 1, wo du keine Chance hast, wenn du im falschen Auto sitzt. Zu 80 bis 90 Prozent kommt es auf den Fahrer an. Die Besten können mit jedem Material vorne mitfahren.

derStandard.at: Wie sieht es mit Sponsoren aus?

Walkner: Ohne Sponsoren würde es nicht gehen. Der Sport ist sehr kostenaufwändig. Wenn du all das Material selbst bezahlen müsstest, dann ginge es überhaupt nicht. Ich bin die letzten Jahre die MX1-WM gefahren, da kostet allein das Startgeld für die Saison 10.000 Euro. Ohne Sponsoren würde sich das nie ausgehen. Du brauchst eine Stange Geld, damit du dir auch die Überseerennen leisten kannst. Damals habe ich mein gesamtes Erspartes aufgebraucht. Ich bin dann auf die kostengünstigere Variante MX3 umgestiegen. Da gibt es kein Startgeld und keine Überseerennen. Das war der richtige Schritt.

derStandard.at: Und Preisgelder?

Walkner: Gibt es gar nicht! Der Akteur muss dafür zahlen, damit er die Leute unterhalten kann. Da fragt man sich hie und da schon, warum man das macht. Es ist halt eine Sucht.

derStandard.at: Woran hapert es in Österreich in punkto Motocross?

Walkner: In erster Linie bräuchte es Trainingsstrecken. In meiner Nähe gibt es die XBowl-Arena in Stegenwald, eine perfekte Strecke, aber man bräuchte Abwechslung. Ich kenne den Kurs schon in- und auswendig. Genehmigungen für Strecken sind in Österreich schwer zu bekommen, weil immer jeder das Negative sieht. Den Lärm, die Umweltbelastung. Aber andererseits fahren zu einem Fußballspiel auch tausende Leute mit dem Wagen hin. In Kundl gibt es eine Strecke, die soll geschlossen werden, weil dort eine bestimmte Vogelart nistet. Da glaubst du im ersten Moment, das ist ein Schmäh. Bei einem Fußballplatz oder einer Skipiste ist dagegen Vieles egal. Neben der Trainingsstrecke in Mehrnbach stehen die Rehe und sitzen die Hasen, die sich daran gewöhnt haben. Man kann überall was Schlechtes finden. Klar wird man neben einer Wohnanlage keine Motocrossstrecke bauen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten. Es kann doch nicht stören, wenn zweimal in der Woche ein paar Leute mit dem Motorrad zu einer Zeit herumfahren, wo ohnehin fast jeder in der Arbeit ist. Für Motorsport hat Österreich leider nicht sehr viel über!

derStandard.at: Sind Straßenmaschinen oder Joghurtbecher auch ein Thema für Sie, oder bewegen Sie sich lieber im Gelände?

Walkner: Es ist schon sehr lustig damit herumzufahren, aber nicht rennmäßig. Die Straße ist viel zu gefährlich, da kann man sich gleich richtig wehtun. Es ist ja nicht so, dass man sich dann nur den Daumen anhaut, das kann richtig ins Auge gehen.

derStandard.at: Das berühmt-berüchtige Rennen auf der Isle of Man würde Sie demnach auch nicht reizen?

Walkner: Das würde mir schon gefallen, aber ich glaube, dass ich mich dann richtig anscheißen würde. Oida, Wahnsinn, das ist schon richtig heftig, was sie dort aufführen, wenn sie teilweise mit über 250 km/h durch Schikanen rasen. Da ziehe ich den Hut. (Thomas Hirner, derStandard.at, 25.9.2012)