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Islamisten demonstrieren vor der französischen Botschaft in Teheran gegen die Veröffentlichung von Cartoons in der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo". In Frankreich waren Demos verboten worden.

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Sie sind respektlos, unflätig. Eine Zeichnung mit dem nackten Hintern des Propheten ist fast noch heilig im Vergleich zum Rest der Bilder, auf denen religiöse Armabhacker und Sodomisten, der Papst und Rabbis ihr Unwesen treiben.

Auf diese Weise provoziert Charlie Hebdo, das französische Satiremagazin, das mit seinen Mohammed-Karikaturen die Proteste in der arabischen Welt nach dem islamfeindlichen Schmähfilm neu entfachte. Gewiss, der "Bürgerschreck Charlie", wie man das von Hand gezeichnete und geschriebene Wochenblatt in Frankreich nennt, war schon immer rotzfrech - aber am liebsten stichelt es gegen den Klerus jedweder Religion. Das räumt auch der stellvertretende Chefredakteur Gérard Biard freimütig ein: "Der Angriff gegen alle Religionen zimmert unsere Identität. Ich glaube, wir sind in der Redaktion allesamt Atheisten."

Antiklerikalismus hat Tradition

Atheismus, Antiklerikalismus: Der Hass auf die Schwarzröcke hat in Frankreich eine lange Tradition. Seine Wurzeln reichen bis in die Zeit vor der Revolution von 1789 zurück. Im 19. Jahrhunderten wogte der Kampf um "die älteste Tochter der Kirche", wie der Vatikan das tiefkatholische Frankreich nannte, besonders heftig. Der einzige Ausweg war 1905 die Trennung von Kirche und Staat. Sie drängte die Religion in die private Sphäre zurück, seither erhält keine Glaubensgemeinschaft auch nur einen Cent an Subventionen.

So wahrt Frankreich den Religionsfrieden - und auch den Frieden zwischen Gläubigen und Antiklerikalen. Denn die "cathos", wie die Katholiken von Letzteren despektierlich genannt werden, sind noch zahlreich; und auch Juden und Muslime gibt es in Frankreich mehr als irgendwo sonst in Europa.

Laizismus als Dogma

Der französische Laizismus musste so hart erfochten werden, dass er heute selbst ein Dogma geworden ist - sozusagen die Religion der Ungläubigen. Aus diesem Grund wehren sich die französischen Regierungen seit Jahren dagegen, dass der Bezug auf die christlichen Wurzeln Europas in die EU-Verträge oder -Verfassung aufgenommen wird. Deshalb auch hat der Staat den islamischen Schleier an den öffentlichen Schulen verboten. Und aus diesem Grund untersagte Innenminister Manuel Valls am Freitag und Samstag alle öffentlichen Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen.

Le Pen verlangt Kippa-Verbot

Zugleich wird der strikte französische Laizismus für parteipolitische Zwecke missbraucht. Vergangene Woche verlangte die Rechtsextremistin Marine Le Pen ein Verbot der jüdischen Kippa in den Straßen. Zur Zeitung Le Monde sagte die Präsidentin des Front National, man könne den Musliminnen nicht das Kopftuch verbieten, den Juden aber ihre religiöse Kopfbedeckung belassen.

Sozialisten und die Rechtsopposition nennen die Idee "absurd". Die christliche Politikerin Christine Botin meint, in dem Fall müsste man auch die Kirchen und Kathedralen schleifen. Und Nonnenkleider oder Sutanen auf der Straße verbieten, fügt CFCM-Präsident Mohammed Moussaoui an. Die Union jüdischer Studenten ließ verlauten, es gehe Le Pen gar nicht um den Laizismus; ihre fremdenfeindliche Partei habe schlicht "ein Problem mit den Juden und den Moslems".

Säkularismus ad absurdum geführt

Allein der Umstand, dass ein Kippa-Verbot öffentlich diskutiert wird, zeigt allerdings die durchdringende Wirkung der Säkularismusidee in Frankreich. Selbst wenn sie auf die Spitze getrieben und damit ad absurdum geführt wird. Aber wie jede Religion hat der an sich so vernünftige und für Frankreichs gesellschaftlichen Frieden so wichtige Laizismus auch seine Fundamentalisten. (Stefan Brändle/DER STANDARD Printausgabe, 25.9.2012)