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Der sechs Monate alte Sohn von Heidi List reagiert mit begeistertem Kreischen auf die Beatles und kotzt bei den Stones.

Foto: ap/dapd/Anonymous

Der bevorstehende Altweibersommer wird uns noch einmal kurz in die Aktivität treiben, aber dann ist Schluss. Es wird ein Sonntag kommen, an dem es regnet. An dem wurschtelt man nur herum, hektisch, oh weh, Regen auch noch, man muss die Kinder bewegen und Besuch ist auch eingeladen. Die Nacht war auch ein Witz, schlaftechnisch. Und braucht auf einmal bis 11 Uhr um etwas Frühstücksähnliches auf den Tisch zu bringen. Man bemerkt, dass alle noch im Pyjama sind. Man rätselt wie das damals möglich war - als noch Sonne war, also gestern um die gleiche Zeit schon dreimal außer Haus gewesen zu sein, sogar geduscht und zähnegeputzt.

Ein Kind zieht eine alte Vinyl aus dem Fach. Der Partner spürt den alten Trigger und beginnt sie alphabetisch zu ordnen. Es gab ja Zeiten wo das selbstverständlich war, wo man sich die Zeit nahm - damals, als man sich und sein Leben aufbaute, die wichtigen Dinge zu ordnen. Er bleibt zwei Stunden sitzen und spielt den Kindern die Stones vor. Und die Beatles. Der sechs Monate alte reagiert mit begeistertem Kreischen auf die Beatles und kotzt bei den Stones. Wir beschließen eine Therapie für ihn. Haben es lustig.

Papst und Papierkrieger

Man erinnert sich an ein Buch über neuere Musikgeschichte, das man ganz sicher einmal gekauft hat und welches man noch nicht gelesen hat. Beginnt zu suchen. Stößt auf Kisten, noch von damals, vor Jahren - vom Umzug. Darin sind Ungetüme. Kleidungsstücke, die man am anderen oder an sich nicht mochte. Man probiert die durch, gemeinsam. Der Vierjährige schlurft in dem einen scheußlichen Kimono durch die Wohnung - wegen dem man einmal gestritten hat, weil er so eine Augenbeleidigung ist - und spielt Papst. Man fürchtet ein wenig um die sorgsam agnostische Erziehung, wird aber beruhigt als er sich einen Zeitungshut dazu aufsetzt. Er sei jetzt lieber ein Papierkrieger. Achso. Vom Buch übrigens keine Spur.

Es ist 16 Uhr. Man hat noch nicht einmal ins iPhone geschielt, ob es irgendwo was Neues gibt. Irgendein Senf von irgendwem zu einem Ausschuss. Man wundert sich auf einmal wie spannend das die letzten Tage noch war. Jetzt aber ist es wichtiger zu erörtern, wie man den Besuch für den Abend wieder abbiegen könnte - man hätte was einkaufen sollen. Das Telefon läutet, der Besuch sagt ab. Wegen des Regens. Ja klar, versteht man. Bis bald, sicher.

Schock durch fremde soziale Kontakte

Der Partner sortiert sich die Platten aus, deren Platz in der Musikgeschichte er für überbewertet hält, und beginnt sie durchzuhören, um sich darin zu bestätigen. Mit Weinbegleitung. Man selber beginnt dem Vierjährigen das Schachspiel zu erklären. Auf seinen Wunsch bitte, man ist ja keine Schachmutti oder so was. Es scheitert an den Figuren, die werden von dem Baby aufgegessen. Macht nichts. Der Vierjährige begibt sich wieder in die Tätigkeiten seiner Altersgruppe und leert die Kästen aus. Alle in der Wohnung. Man ist zu faul zum Schimpfen und hört weiter Musik.

Später kommt der Pizzamann. Man ist kurz schockiert von dem fremden sozialen Kontakt auf dem eigenen Planeten. Der Herr wundert sich über unsere Pyjamas und wünscht gute Besserung. Und auf einmal ist man erholt. Als hätte man ernsthaft geschlafen in den letzten Nächten. Obwohl man heute nichts zusammengebracht hat. Denn man hat sich unverbindlich und damit höchst verbindlich bei sich selber umgesehen - und, wie immer mit Abstrichen, aber doch, bemerkt man, es ist in Ordnung so wie es ist. Und man ist immer noch im Pyjama. Wie praktisch. (Heidi List, derStandard.at, 24.9.2012)