Der Ladung vor den Untersuchungsausschuss konnte Kanzler Werner Faymann noch entgehen; der Demontage seines öffentlichen Ansehens durch die offenen Fragen in der Inseratenaffäre und die skandalöse Abwürgung des U-Ausschusses auf SPÖ-Betreiben aber nicht.

Beide Regierungsparteien werden nunmehr von Politikern geführt, die angeschlagen sind und deren Qualifikation in Zweifel gezogen wird. Denn seit dem missglückten Wechsel in das Finanzressort gilt auch Vizekanzler Michael Spindelegger als ÖVP-Chef auf Abruf - persönlich zwar integer, aber seiner Aufgabe nicht gewachsen.

Man muss es offen aussprechen: Seit Gründung der Zweiten Republik war die Regierung noch nie in so schwachen Händen. Man muss auf SPÖ-Seite gar nicht Bruno Kreisky oder Franz Vranitzky beschwören. Selbst Fred Sinowatz, Viktor Klima und Alfred Gusenbauer hatten bei allen Fehlern mehr intellektuelles Format und politische Glaubwürdigkeit als der heutige Kanzler. Und auch in der ÖVP gab es trotz ständiger Obmannprobleme noch keinen Parteichef, der sich offen von einem machtbewussten Landeshauptmann gängeln lässt und im TV bekennt, dass er diesem nie widerspricht.

Dass die beiden Koalitionsparteien trotz Führungskrise in den Umfragen nicht völlig abstürzen, liegt daran, dass auch die Oppositionschefs zweitklassig sind. Bei all ihrer Bemühtheit fehlt Eva Glawischnig die intellektuelle Brillanz und Gelassenheit, die Alexander Van der Bellen für breite Schichten so attraktiv machte. Und Heinz-Christian Strache bleibt eine ärmliche Kopie Jörg Haiders, der zwar stets für Empörung sorgte, aber selbst seine härtesten Gegner faszinierte.

Es ist diese politische Landschaft, die Frank Stronach trotz skurriler Auftritte und noch skurrilerer Vorstellungen zu so viel Aufmerksamkeit und Zuspruch verhilft.

Die magere Qualität der heutigen Politikerkaste, die sich - siehe die Parlamentsdebatten - auch in der zweiten und dritten Ebene niederschlägt, ist kein Zufall. Das schlechte Image und die schwierigen Arbeitsbedingungen in der Politik schrecken sicher viele potenzielle Quereinsteiger ab. Schuld aber trägt vor allem die Art, wie die Parteien Karrieren gestalten und Führungskräfte auswählen. Dort zählen weder besondere Kompetenz noch Popularität, sondern Sitzfleisch sowie die Fähigkeit, sich im Apparat durchzusetzen und Intrigen zu überstehen. In diesen Kategorien waren Faymann und Spindelegger wahre Meister.

Ganz ohne solche Qualitäten kommt man nirgendwo an die Spitze. Aber in anderen europäischen Ländern hat ein Prozess eingesetzt, der Politiker nach Leistung und Erfolgsaussichten auswählt und dabei auch die Basis einbindet: innerparteiliche Vorwahlen. Erfunden in den USA, sind sie in Großbritannien und Frankreich schon üblich und halten dank der Grünen nun auch in Deutschland Einzug.

Österreichs Parteien ist eine solche gelebte Demokratie fremd; Obmannwechsel werden stets in Hinterzimmern ausgepackelt und an Parteitagen in KP-Manier abgesegnet. Für Gegenkandidaten und Debatten gibt es keinen Platz.

Jahrzehntelang hat dieses System funktioniert, aber heute fördert es nur noch die Politikverdrossenheit. Vorwahlen mit mehreren Kandidaten würden mehr zur Demokratisierung des Landes beitragen als die derzeit so geliebten Referenden. Und möglicherweise würden sie das Land vor der nächsten Generation von Faymanns und Spindeleggers schützen. (Eric Frey, DER STANDARD, 24.9.2012)