Es diskutierten Martin Balluch, Karen Duve, Alexandra Jahr, Hubert Schatz und Clemens Tönnies unter der Moderation von Journalisten Uwe Justus Wenzel.

Foto: pro.media/Christian Jost

Fleischverarbeiter Clemens Tönnies suchte die Verantwortung für die Massentierhaltung vor allem beim Konsumenten, der nach Fleisch verlange.

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Das Thema wurde auch von den Zuhörern sehr emotional aufgenommen.

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Tierrechtsaktivist Martin Balluch forderte auch Verantwortung der Produzenten und der Industrie ein. Den Tieren solle vor ihrer Tötung zumindest ein Mindestmaß an Lebensqualität zugestanden werden.

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Das 16. Philosophicum Lech stand heuer unter dem Thema "Tiere. Der Mensch und seine Natur". Bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel "Gebrauch der Tiere" trafen Tierethiker und Tierrechtsaktivist Martin Balluch, Autorin Karin Duve ("Anständig essen"), der praktizierende Jäger Hubert Schatz und Clemens Tönnies  aufeinander. Letzterer ist Vorstand des Unternehmens Tönnies-Fleischwerk, für das im Jahr 2007 mehr als 11 Millionen Schweine geschlachtet wurden. So unterschiedlich die Positionen der Diskutanten waren, hatten sie doch eines gemeinsam: Sie wurden mit Fleischessen sozialisiert.

Zu Beginn positionierten sich die Diskutanten, indem sie ihre Beziehung zu Tieren schilderten: Für Karen Duve, die mit ihrem Buch "Anständig essen" im Vorjahr die Massentierhaltung anprangerte, sei es bereichernd, mit Tieren zusammen zu leben. Das funktioniere so ähnlich wie Fernreisen: "Man merkt, dass die eigene Kultur nicht maßgebend ist. In einigen Bereichen funktioniert man anders - gleichzeitig gibt es aber viele Schnittmengen."

Parallelen zwischen Menschen und Tieren

Hubert Schatz kann ebenfalls viele Parallelen zwischen dem Verhalten von Menschen und Wildtieren feststellen, mit denen er viel zu tun hat. Er formulierte es etwas wertekonservativer, was im Publikum für Gelächter sorgte: "Ich denke an die Mutter-Kind-Beziehungen - etwa die Hirschkuh mit dem Kalb. Das erinnert mich an meine Ehefrau mit unserem Kind." Tiere hätten sicher ein Bewusstsein und ein Gefühl, zeigte sich der Jäger überzeugt.

Martin Balluch forderte daran anknüpfend, dass es deshalb notwendig sei, den eigenen Standpunkt verlassen zu lernen. "Wir sehen nur unsere eigene Perspektive", sagt er. Tiere hätten aber ebenfalls Empfindungen und Wünsche und es gebe keine Veranlassung, diese weniger ernst zu nehmen. Es gehöre eine wesentliche intellektuelle Leistung dazu, etwas aus dem Standpunkt anderer sehen zu können.

Haustier vs. Nutztier

An dieser Stelle meldete sich Clemens Tönnies zu Wort: "Wir bringen dem Haustier eine ganz andere Achtung als einem Nutztier entgegen." Der Chef einer Fleischverarbeitungsindustrie meinte, dass es mehr Achtung für das Schwein, die Kuh und das Geflügel braucht. "Wenn die Menschen Schweine wie Hunde ansehen würden, könnten Sie Ihre Firma zusperren", entgegnete Balluch. Tönnies hingegen appellierte mit seinem Argument an die Verantwortung des Konsumenten: Wenn die Menschen kein Fleisch mehr essen wollen, würde auch kein Tier mehr getötet.

Balluch fragte nach, wo Tönnies den prägnanten Unterschied zwischen Hund und Schwein sehe. Den einen halte Tönnies als Haustier, von der anderen Gattung töte seine Firma 11 Millionen Tiere pro Jahr. Ein Schwein, so Tönnies, sei ein Nutztier, "mit dem man ordentlich umgehen muss. Es wird gehalten, weil die Gesellschaft es essen will." Wenn er seinen Hund zum Tierarzt bringt, hätte er aber sogar einmal weinen müssen. Dieser bekannte und in vielen Publikationen thematisierte Widerspruch der menschlichen Unterscheidung zwischen Tier und Tier - das eine wird geliebt, das andere gegessen - konnte auch im Laufe des Gesprächs nicht aufgelöst werden.

Mitgefühl ist eine Entscheidung

Autorin Duve meinte, dass Mitgefühl etwas mit der Entscheidung zu tun habe, es demgegenüber aufzubringen, der leidet. Oft habe das nichts mit Rationalität zu tun. Vielmehr hänge es davon ab, wie bewusst wir eine Situation wahr nehmen (wollen). Der Jäger Hubert Schatz übernahm die Rolle des Fleischkonsumenten: Er sehe sich selbst als praktischen Mensch. Daher habe er vielleicht auch noch kein Buch geschrieben, scherzte er. Tiere seien für ihn ganz klar Lebensgrundlage, nicht nur beim Essen, sondern auch bei der Bekleidung: "Sie haben für uns einen Nutzen, daher werden wir sie auch immer nutzen. Das finde ich ganz logisch."

Massentierhaltung sei für den passionierten Jäger aber nur schwer zu verstehen: "Meine Einstellung ist es, allen Tieren so viel Freiheit wie möglich zu geben." Nach der Nachfrage von Balluch, ob Schatz nur freilaufende "Weideschweine" esse,  wurde die persönliche Ethik am Esstisch wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. Schatz konterte, dass er nicht genau wisse, wo sein Fleisch am Teller herkomme, da seine Frau es einkaufe. Die Rinderhaltung in Österreich sei zudem für ihn in Summe vertretbar.

Definition von "Masse"

Fleischproduzent Tönnies wollte an dieser Stelle den Punkt Massentierhaltung diskutieren. Es gehe nicht um die Menge oder Masse der Tiere, die gehalten werde, sondern um das Tierwohl: "Dem Landwirt darf nicht die ökonomische Grundlage entzogen werden, indem wir wieder zu einer 'Put-put-put-Gesellschaft' [Anmerkung: Ahmt Lockgeräusche für Hühner nach] zurückkehren."

Es müsse uns klar sein, sagte der Fleischverarbeiter, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Veränderung der Haltungsform gegeben habe. Man müsse dem Verbraucher die Wahrheit sagen. Nach dieser großen Ankündigung versuchte Tönnies jedoch eher wieder ein Werbebild der Fleischindustrie zu vermitteln: "Wir haben familienorientierte Landwirtschaft." Und zudem gebe es diese Agrarfabriken mit Massentierhaltung in Deutschland kaum, zeigte er sich überzeugt.

Die Firma Tönnies habe allein in Westfahlen 24.000 landwirtschaftliche Zulieferer. Ein durchschnittlicher Schweinehalter in Deutschland besitze 498 Tiere. Das sorgte im Publikum für Geraune. "Wenn er weniger hat, könnte er nicht davon leben. Ich glaube auch nicht, dass wir die Schraube zurückdrehen können", verteidigte sich Tönnies.

"Außerhalb der Gesellschaft"

Karen Duve hat ein Jahr für ihr Buch recherchiert und sich genauer angesehen, welche Art von Fleischproduktionsbetrieben es gibt. Ihr Fazit: "Wir können davon ausgehen, dass für einen Großteil des Fleisches im Supermarkt ein Tier gequält wurde." Die Schriftstellerin räumt in Richtung Tönnies ein: "Sie haben vielleicht ein ganz anderes Verständnis davon, was Tierquälerei ist. Oder was ein Kleinbetrieb ist. Ein Betrieb mit 498 Schweinen ist für mich nicht kleinbäuerlich, sondern eine Produktionsstätte. Da kann man nicht mehr von Bauernhof sprechen."

In den 1950er Jahren waren Ernährungswissenschafter und Lebensmittelexperten noch der Meinung, dass ein derart aufwändig hergestelltes Lebensmittel wie Fleisch niemals ein Massenprodukt werden könnte. "So billig, wie Fleisch bei uns angeboten wird, geht nicht, ohne andere dafür zahlen zu lassen: Sei es die Arbeiter, die Tiere oder die Umwelt", so Duve, deren Kritik danach noch schärfer wurde: Innerhalb der Gesellschaft gebe es keinen Konsens mehr, dass es rechtens ist, wie Tiere in der Fleischindustrie gequält werden. "Sie stehen juristisch völlig auf der richtigen Seite, aber moralisch stehen sie außerhalb dieser Gesellschaft", sagte Duve, was ihr spontanen Applaus aus dem Publikum brachte.

Profit auf Kosten der Tiere

Balluch wiederum kritisierte, dass in fast allen Schlachtbetrieben auf folgendes verzichtet werde: den Schweinen Stroh, eine Geburt außerhalb eines körpergroßen Käfigs (des Kastenstands), Freilauf oder Sonnenlicht zu bieten - und dies alles für die Profitmaximierung.

Balluch empfahl einen Blick in die Schweiz, wo Kastenstand und Spaltböden bereits verboten sind. Österreich sei auch hier "anders", bemerkte er lakonisch: Nach langer Kampagnenarbeit wurde zwar ein Kastenstandverbot erreicht, das aber erst in 21 Jahren in Kraft treten wird. In Deutschland sei jedoch seiner Erfahrung nach gar keine Bereitschaft da, den Kastenstand jemals zu verbieten: "Das System der Ausbeutung wird hier noch perfektioniert."

Sozialisierung und Bauchgefühl

Für alle Diskutanten sei es einmal normal gewesen, Fleisch zu essen, holte Balluch danach aus. Diese Sozialisierung entwickle sich zu einem tief sitzenden Bauchgefühl, das es unmöglich mache, einen anderen Zugang zu Tieren zu finden. "Das Arguement mit der Unterscheidung zwischen Hunden und Schweinen belegt, wie wahnsinnig irrational wir sind", so Balluch: "Wir versuchen nur unseren Prozess der Sozialisierung zu belegen, obwohl wir ganz offensichtlich in einem extremen Widerspruch leben."

Clemens Tönnies reagierte auf diese Kritikpunkte mit einem Bericht von seiner Sozialisierung. Er komme aus einer Metzgerfamilie und habe von seinem Vater gelernt, ordentlich mit Tieren umzugehen: "Ich habe mir aber nie die Grundsatzfrage gestellt, ob das, was ich mache, moralisch in Ordnung ist. So bin ich groß geworden." Und er zementierte seine Postition noch deutlicher ein: "Ich esse unheimlich gerne Fleisch. Es gibt nichts Schöneres als einen ordentlichen Wurstteller, in den ich reinbeiße."

Konsumenten, denen "alles wurscht" ist

Martin Balluch appellierte im letzten Drittel der Diskussion daran, von einem strikten Schwarz-Weiß-Denken wegzukommen, denn es gebe nicht nur zwei Positionen: Auf der einen Seite die Veganer und auf der anderen Seite die Konsumenten, denen "alles wurscht" ist.

Der Tierrechtsaktivist hält nichts davon, die Verantwortung nur allein an den Konsumenten abzuwälzen: "Es geht nicht um die Bereinigung des eigenen Gewissens, sondern um eine Änderung der Stellung des Tiers in der Gesellschaft. Das müssen wir in einem gemeinsamen gesetzlichen Schritt machen." Er nannte dafür ein Beispiel aus Österreich: "Vor dem Verbot von Legehennenbatterien waren zwar 86 Prozent der Menschen dagegen, aber 80 Prozent haben Eier aus dieser Produktion gekauft." Die Menschen seien eben durch das System gezwungen worden, Produkte zu kaufen, die sie eigentlich nicht wollten.

Ein Anfang wäre es etwa, in den Betrieben von Tönnies die Haltungsbedingungen zu verbessern und den Tieren Stroheinstreu zu vergönnen. Zudem sollten die Vollspaltböden verboten und ein verpflichtender Auslauf sichergestellt werden. "Dann sind wir aber immer noch bei Masse", konterte Tönnies. "Ja, aber es wäre ein riesiger Fortschritt, den auch der Konsument will", meinte Balluch und verwies darauf, dass in Österreich weniger als ein Prozent der gesamten Fleischproduktion Biofleisch ist. (Julia Schilly, derStandard.at, 24.9.2012)