Hermes Phettberg in einem Screenshot des Films "Elender", der im Jahr 2007 von seinem Freund Kurt Palm veröffentlicht wurde.

Foto: Der Standard

Zugegeben: Ich hatte die Episode vergessen. Obwohl ich mir vorgenommen hatte anzuklopfen. Und mir Zeit zu nehmen. So schwer ist das in Wirklichkeit nicht - und im Gegensatz zu anderen Menschen habe ich ohnehin keine familiären Pflege- und Betreuungspflichten.

Trotzdem war der Vorsatz rasch vergessen. Bis der Brief vom Anwalt kam: Als ich den Namen "Michael Pilz" las, war da sofort das schlechte Gewissen. Und das Gesicht von Hermes Phettberg, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten: Mitte Juni war das gewesen.

Kreuzungsszene und Wiedersehen

Ich war mit dem Motorroller unterwegs - und der Autofahrer hinter mir zeigte durch sein Hupen, dass er von mir erwartete, den Mann mit dem Rollator und eine Kindergruppe am Zebrastreifen über den Haufen zu fahren: Das Fußgänger-Grün war viel zu kurz, um ihnen eine sichere Passage zu gewährleisten.

Ich tat, was ich in solchen Fällen tue: Seitenständer raus, Motor ab, absteigen - und gemütlich und schön breit neben der Vespa stehend warten, bis die Fußgänger weg sind. Den Helm lasse ich da sicherheitshalber auf. Nicht wegen der Fußgänger.

Der Mann mit dem Rollator brauchte ewig. Ich schob die Vespa zur Seite, erklärte dem tobenden Autofahrer, dass ich seine Mutter ebenfalls entzückend fände - und sah wenige Augenblicke später in ein fragendes Gesicht: "Ich kenn dich", nuschelte Phettberg am Rollator, "ich kenn dich doch."

Wer bin ich?

Ich nahm den Helm ab. Das wackelige, abgemagerte und ungepflegte Männlein, das einst so kolossal aufgetreten war, rätselte weiter. "Vom 'Falter', gell?" Sein Blick war flehentlich - als solle die Erinnerung auch verlorene Zeit zurückbringen. War das wirklich Phettberg? Wäre da nicht die hängende Lippe gewesen, hätte auch ich mich gefragt, ob ich tatsächlich dem Mann gegenüberstand, dessen "Predigtdienste" mich vor einer Ewigkeit beim "Falter" in den Wahnsinn getrieben hatten: Ich hatte Phettberg dort redigieren, kürzen und einrichten müssen - ein Himmelfahrtskommando.

Zugegeben: Das war jetzt übertrieben. Denn Josef Fenz - also Phettberg - war lange mein Nachbar. Auch nach seiner Zeit als einzig wahrer TV-Talker, der nicht bloß vorgab, "andere" Gespräche zu führen, traf ich ihn ständig. Ich sah seinen Niedergang - mehrere Schlaganfälle ließen den 150-Kilo-Koloss zum Schatten seiner selbst werden - erste Reihe fußfrei. Als der Ruhm weg war, blieben Geld und Schulterklopfer aus. Die paar echten Freunde konnten den Absturz nur abpuffern.

Plaudern ohne Folgen

Als ich Phettberg meinen Namen gesagt hatte, plauderte er. Die Hälfte war unverständlich. Ich bin auch nicht sicher, ob er wirklich wusste, wer ich war. Aber er freute sich, dass da jemand die Hand, an der er sich festhielt, nicht wegzog. Trotzdem: Ich musste weiter. Ich nahm mir vor, vorbeizuschauen.

Vor drei Tagen kam dann Post von Pilz (siehe unten). Pilz ist Phettbergs Sachwalter - und er erinnerte mich an an den bevorstehenden Geburtstag seines Schützlings. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 21.9.2012)