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Konsumtempel: Verkommen Bioethiker mit einem Ja zur Pränataldiagnostik zu Agenten der Shopping-macht-happy-Ideologie?

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Thomas Sören Hoffmann war Mitglied der Arbeitsgruppe "Internationale Aspekte der Bioethik".

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Bioethik" hat sich, vor einem halben Jahrhundert noch, gerne als kritische Disziplin verstanden. Ob das die Österreichische Bioethikkommission jemals tat, weiß ich nicht. Heute jedenfalls tut sie es mehrheitlich nicht. Einer Welt, in der alles zur Ware geworden ist, hat sie nichts entgegenzusetzen: auch nicht den Einspruch, dass Kinder es nicht sind. Stattdessen wird sie zur Marktpolizei: Schon früher hat sie sich im Sinne des Verbraucherschutzes gegen Fertigungsfehler am Kind verwahrt und Schadensersatzanspruch bei Fehllieferung verlangt.

Aktuell geht es ihr um den freien Zugang nun wirklich aller zum Kind als Produkt. Sie kämpft, als wäre sie eine Abteilung der WTO, für den Abbau von Handelshindernissen für ein humanes Bioprodukt. Warum auch sollen Single-Frauen und lesbische Paare sich in der Waren-Welt, wie sie ist, kein Kind kaufen können? Marktpolizeilich gesehen, meint die Mehrheit der Kommission, gibt es für Exklusionen wie diese gar keinen Grund. Das bestehende Fortpflanzungsmedizingesetz verzerrt die marktkonforme Allokation. Es muss weg.

An dieser Stelle fällt mir komischerweise auch heute noch Marx ein. Marx ist tot. Aber manchmal glaubt man das nicht. Marx war kein Ethiker, aber doch jemand, der sich weigerte, Menschsein in Markthandeln aufgehen zu lassen. Das hat auch das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz zu tun versucht, indem es die assistierte Reproduktion an Voraussetzungen band, an denen sich reine Marktmechanismen notwendig brechen.

Die altmodischste dieser Voraussetzungen, eindeutig noch aus Zeiten vor der Kapitalwirtschaft stammend, ist die Natur. "Von Natur" hat wirklich jeder Mensch einen Vater und eine Mutter, selbst wenn er Bioethiker ist. Die Natur sagt uns zwar noch nicht unbedingt, was wir weiter zu tun haben. Aber sie sagt uns ziemlich genau, was wir jedenfalls nicht tun können. Zum Beispiel sagt sie, dass noch die energischste Frau für sich alleine kein Kind bekommen kann. Und dass auch zwei, drei und noch mehr Frauen das zusammen nicht können.

Das geltende Gesetz hatte wie jedes gute Gesetz nicht vor, die Natur zu ändern. Es leitet auch nicht ein Naturrecht auf Kinder ab, was eher seine Gegner tun. Aber es wollte doch festhalten, dass die Fortpflanzungsmedizin primär eine Sparte der Medizin und nicht ein Segment des Marktes ist. Medizin hat etwas mit Heilen, mit Therapie, mit der irgendwie der Natur abgelauschten Unterstützung natürlicher Prozesse zu tun.

Umgekehrt hat, seit man den Arzt vom Medizinmann zu unterscheiden weiß, Medizin nichts mit der Erfüllung von Wünschen zu tun, die auf natürlichem Wege nicht zu befriedigen sind. Medizin überschreitet die Grenze des Therapeutischen nicht. Der Mediziner unterstützt, soweit es angeht, Mann und Frau dabei, ein Kind zu bekommen; der Medizinmann dagegen verkauft ein, zwei oder noch mehr Frauen seine Dienste fürs gleiche Projekt.

Der Markt, der, anders als die Natur, immer primär ein Imaginationsraum ist, hat uns - kulturgeschichtlich eigentlich eine gewaltige Regression - die Medizinmänner (und Medizinfrauen) wiedergebracht. Diese handeln mit Wunscherfüllung und vertreten dazu die Lehre, dass beliebige Wunschvorstellungen am Markt zu befriedigen ein "Recht" sei. Ökonomisch gesehen ist das für alle, die zahlen können, ja auch nicht ganz falsch. Aber der Raum des Rechts ist nicht alleine das Ensemble der Regeln der Ökonomie. Ein "Recht" etwa auf den Zauberstab, der ein Kind produziert, wo schlechterdings keins gezeugt werden kann, gibt es nur dann, wenn sich auch die Jurisprudenz schon zu Markte getragen hat.

Das Recht, das noch Recht ist, definiert den Raum einer freien Begegnung. Es erzwingt nicht, voluntaristisch, eine Präsenz. Das Recht ist keine Wunscherfüllungsmaschine, am wenigsten übrigens dann, wenn auf den einen Wunsch (z. B. den Wunsch, keinen Zeugungsakt zu vollziehen) ein anderer folgt, der die Folgen des ersten (also z. B. die Kinderlosigkeit) nicht wünscht. Große begriffliche Toleranz mag dabei auch widersprechendes Wünschen noch irgendwie "Selbstbestimmung" nennen.

Aber Selbstbestimmung gibt es im Recht nicht im Monolog. Das Recht, auch das Biorecht, koordiniert die Selbstbestimmung des Einen mit der des Anderen. Wenn Kinder gerade keine "Produkte", keine Wunschmarionetten, sondern Andere und zur Selbstbestimmung Bestimmte sind, begegnen sie in solchen Räumen. Ein "Recht" auf sie selbst, die Kinder, gibt es dann nicht - für niemanden.

In den USA hat übrigens schon im Jahre 2004 der Bioethikrat des Präsidenten, vorsichtig, aber doch deutlich, den Finger darauf gelegt, dass gerade die Reproduktionsindustrie dazu neigt, nicht nur Wünsche zu erfüllen, sondern auch Wunschbilder von sich selbst zu verbreiten. In der Tat gehören ein doppelt so hohes Fehlbildungsrisiko bei IVF-Kindern (für Deutschland belegt) oder die Methode des Fetozids zur Mehrlingsreduktion nicht zu den Dingen, die gewöhnlich die Hochglanzbroschüren der Kindertraumfabriken zieren. Genauso werden Studien über die zunehmend dramatischen Folgen von Vaterlosigkeit insbesondere für Buben, wie sie die Bioethikkommission eindeutig nicht gerne liest, heute nur allzu gerne unter der Käseglocke des leider nur politisch Korrekten, sonst aber Falschen versteckt.

Wäre Bioethik noch kritisch, gäbe es hier für sie gar manches zu tun. Schmiert sie dagegen den Markt, dann vergessen wir sie lieber gleich. Oder schicken sie, nicht nur zur Marx-Lektüre, einstweilen nach Hause. (Thomas S. Hoffmann, DER STANDARD, 20.9.2012)