Klein und pelzig, aber voll explosiven Geschmacks: Weingartenpfirsiche am niederösterreichischen Wagram.

Foto: Georg Desrues

Karl Groll züchtet seine Pfirsichbäume aus den Kernen.

Foto: Georg Desrues

Vier Jahre nach dem Keimen des Kerns trägt so ein Baum die ersten Früchte.

Foto: Georg Desrues
Foto: Georg Desrues

Der Pfirsich ist eine dieser Obst- und Gemüsesorten, von denen es zu Recht heißt, dass sie den intensiven, ja explosiven Geschmack früherer Zeiten in den meisten Fällen längst verloren hätten. Ähnlich wie beispielsweise Tomaten sind die Pfirsiche, die sich heute im Handel finden, zwar hübsch anzusehen, aber nur selten gereift, sie schmecken nach kaum etwas und verfaulen oft auch noch, bevor sie weich und saftig werden. Einige Zyniker gehen sogar so weit, den Pfirsich als Zehn-Prozent-Frucht zu bezeichnen, womit sie meinen, dass man nur zehn Prozent Chancen hat, auf einen essbaren zu treffen.

Eine Pfirsichart, auf die das alles nicht zutrifft, ist eine heimische Sorte - der Weingartenpfirsich. Der schmeckt heute genau wie früher, saftig, intensiv und herb und mit den typischen zarten Noten von leicht Vergorenem. Doch zwei Probleme gibt es: zum einen hält er sich nicht lange, und zum anderen findet er sich immer seltener.

Anfang September brennt die Sonne noch mit hochsommerlicher Kraft auf die Weingärten und Felder des Kamptals. "Es war ein absolut katastrophales Jahr für die Früchte", sagt Karl Groll während eines Spaziergangs durch seinen Weingarten bei Oberstockstall am Wagram, "zuerst war da der Frost im Mai, dann kam der Hagel im Juni und später die große Hitze. Aber man braucht sich nicht zu wundern, wir haben ein Schaltjahr - und da gibt es nie gute Ernten."

Sehr empfindliche Früchte

Auf höchstens 100 bis 120 Kilo Weigartpferscher - wie man die spätreifenden Früchte hierzulande nennt - werde sich der heurige Ertrag belaufen, schätzt der Obstbauer, Schnapsbrenner und Winzer, also auf kaum ein Zehntel der 1500 Kilo, die er in guten Jahren von seinen Bäumen holen kann. "Es sind eben sehr empfindliche Früchte", sagt Groll und greift nach einem vereinzelten Pfirsich, der etwas armselig über seinem Sonnenhut an einem Ast hängt. "Was sie so besonders macht, ist, dass sie auf Bäumen wachsen, die nicht veredelt wurden". Das wiederum bedeutet, dass die Bäume im Unterschied zu den meisten Obstbäumen nicht aus dem Klon einer Pflanze, sondern aus dem Samen, der im Kern des Steinobsts steckt, gezogen werden.

Jeden Herbst bewahrt Groll die Kerne auf, wäscht und trocknet sie und tut sie in eine Kiste, gefüllt mit einem Gemisch aus Sand und Löß, die er bis zum Winter, bis die Schale bricht, im Freien aufbewahrt und feucht hält. Danach kommen die Kerne in den Weinkeller, wo sie bis zum Austreiben im April bleiben. Die so entstandenen Keimlinge zieht Groll dann ein Jahr lang in einer Art Baumschule auf und pflanzt sie anschließend in seinen Weingärten aus. Vier Jahre, also so lange wie eine Weinrebe, brauche der Baum, bis er Früchte trägt.

"Natürlich weiß man nie, woran genau man ist, den Weingartenpfirsich gibt es nämlich nicht", sagt Groll, "zum Beispiel können sie in einem Jahr grünes Fruchtfleisch haben, in einem anderen auch rötliches, etwa wenn die Nächte kalt waren." Und dann gebe es noch Bäume, deren Reaktion von jener der anderen abweiche, sagt er und deutet auf einen Pfirsichbaum, der nur eine Reihe weiter steht und dessen Äste sich unter einer Fülle praller, reifer Früchte biegen.

Initiative WeinGarten plus

"Die Weingartenpfirsiche sind ein Überbleibsel aus einer Zeit, als die Weingärten noch echte Gärten waren", sagt der Wachauer Bauer und Käsemacher Robert Paget, ein Freund und Kunde Grolls. Heute gelte es die Monokultur des Weinbaus aufzubrechen und eine biologische Vielfalt wiederherzustellen, die einst in so gut wie allen Weingärten gang und gäbe war. "Damals pflanzte man noch verschiedene Rebsorten, aus denen man Gemischten Satz machte, und dazwischen wuchsen nicht nur Pfirsiche, sondern auch Zwetschken, Quitten, wilde Erdbeeren und Gewürzpflanzen wie Knoblauch und Kren."

Zur nachhaltigen Förderung dieser Vielfalt hat sich Paget mit einigen Winzern zusammengetan - darunter bekannte Namen wie Fred Loimer und Alwin Jurtschitsch - und die Initiative WeinGarten plus gegründet, die solche Pflanzen schützen und die Produkte daraus vermarkten soll. Von der pflanzlichen Vielfalt profitierten wiederum Tiere wie die Vögel und auch die Mikroorganismen im Boden. Und Produkte wie Quittenkäse und Pesto vom Weingartenknoblauch seien wichtig, um den Anbau der Bäume und Pflanzen in den Weingärten auch wirtschaftlich aufzuwerten. "Nur den Baum zu pflanzen reicht nicht aus. Ein eventueller Erbe oder Nachfolger des Winzers würde ihn womöglich wieder ausreißen, wenn er keinen finanziellen Wert darin erkennt", sagt Paget.

"Natürlich bedeutet diese Art der Bewirtschaftung auch ein Vielfaches an Arbeit", bestätigt Karl Groll, "mit Maschinen kommt man in so einem Weingarten nicht weiter, da muss so ziemlich alles per Hand gemacht werden, von der Laubarbeit bis zur Lese." In einigen Reihen des Weingartens sind auch die Reben nur spärlich mit Trauben behangen. "Stimmt, auch für den Wein war es kein sehr ergiebiges Jahr, aber das wenige, das geerntet wurde, sollte gut werden", sagt Groll. Und was die Weingartenpfirsiche betrifft, so gebe es ja noch jene aus der üppigen Ernte im Vorjahr, und zwar in Form von Marmeladen und Schnaps, die er ab Hof oder in seinem Bauernladen in Hollabrunn verkauft. (Georg Desrues, Rondo, DER STANDARD, 21.9.2012)