Bild nicht mehr verfügbar.

"Die Regierungsfraktionen sind doch total von den eigenen Regierungsmitgliedern und Parteien abhängig", sagt Neisser.

Foto: APA/Schneider

STANDARD: SPÖ und ÖVP drängen auf ein frühes Ende des U-Ausschusses. Haben Sie als ehemaliger Koalitionspolitiker Verständnis?

Neisser: Nein. Die Absicht, den Ausschuss abzudrehen, ist nicht nur eine politische Unverfrorenheit, sondern auch eine Ungeschicklichkeit. Ich weiß nicht, ob SPÖ und ÖVP kapieren, dass ihnen so eine Aktion in einem Wahlkampf voll auf den Kopf fallen wird. Wenn sich in einem Land mit einer so schläfrigen und bequemen politischen Elite nun prominente Persönlichkeiten zu Wort melden und die drohende Vertuschung anprangern, sollte das den Regierungsparteien zu denken geben. Der Ausschuss hat eine Symbolkraft gewonnen, die ich ihm gar nicht zugetraut habe.

STANDARD: Inwiefern?

Neisser: Während frühere Ausschüsse nur einzelne Segmente - etwa Waffenlieferungen - untersuchten, stößt der aktuelle flächendeckend in eine größere Dimension hinein: Wie weit ist unsere System korrupt? Wenn die Politik vom moralischen Neuanfang redet, muss sie mit dem Vertuschen, Zudecken, Abtauschen - eine Hand wäscht die andere - aufhören. Die Regierungsparteien versäumen sonst die Chance, wenigstens ein bisschen Vertrauen in die Demokratie aufzubauen. Es ist ohnehin schon viel zu viel Porzellan zerdroschen worden.

STANDARD: Was fürchten SPÖ und ÖVP am Ausschuss so sehr?

Neisser: Da ist einmal das Überraschungsmoment: Niemand hat mehr eine Übersicht, wie weit die Korruption verzweigt ist. Dazu kommt die alte Reichshälftenmentalität, die seit den Fünfzigern überlebt hat - jeder macht in seiner Hälfte, was er will, und schaut beim anderen nicht hinein. Außerdem fürchten beide Koalitionsparteien Neuwahlen, weshalb sie aufeinander Rücksicht nehmen.

STANDARD: So einen Abtausch gab es etwa, um Werner Faymann eine Ladung zu ersparen. Ist es legitim, dass ein Kanzler in so einem Fall nicht vor einen U-Ausschuss muss?

Neisser: Nein. Untersuchungsausschüsse sind das zentrale parlamentarische Element, um die Exekutive zu kontrollieren und politische Verantwortung klar zu machen. Also hat jeder Vertreter der Exekutive dort aufzutreten - und der politische Konnex liegt in der Inseratengeschichte, die zum Großteil ein Skandal ist, ja auf der Hand. Österreich fehlt eine parlamentarische Kultur, wie es sie in anderen Ländern gibt: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stellt sich jetzt wieder einem Hearing über Gorleben, das ihre Zeit als Umweltministerin betrifft.

STANDARD:  Faymann sagt ja, er würde kommen - nur wollten ihn SPÖ und ÖVP nicht einladen.

Neisser: Die Regierungsfraktionen sind doch total von den eigenen Regierungsmitgliedern und Parteien abhängig. Abgeordnete wie die Herren Pendl oder Amon reden im Auftrag ihrer Parteichefs. Es verlangt ja niemand, dass sie sagen, die Partei ist uns schnuppe - aber offenbar gibt es in den Fraktionen nicht einmal mehr kritische Diskussionen. In einem Parlament, das sich selbst ernst nimmt, müsste es mindestens 60 Mandatare geben, die sich ohne Untertanenmentalität gegen die Machtallüren der eigenen Regierung stellen und für den Ausschuss einsetzen. Was jetzt passiert, ist eine Desavouierung des Parlamentarismus - da kann man wirklich die Frage stellen, ob man dieses Instrument noch braucht.

STANDARD: Welche Konsequenzen müssten gezogen werden?

Neisser: Der Untersuchungsausschuss soll endlich ein Minderheitenrecht werden.

STANDARD: Zieht die Opposition dann nicht eine Dauershow ab?

Neisser: Das lässt sich verhindern. In Deutschland gibt es für ein Viertel der Abgeordneten ein Initiativrecht für die Einsetzung eines Ausschusses, aber auch eine Verfahrensordnung, die Willkür verhindert. Die dortige Regierung war ja auch nicht so blöd, ein Instrument zu schaffen, über das nur die Opposition verfügt. (Gerald John, DER STANDARD, 20.9.2012)