Höchste Zeit, dass das Klimt-Jahr sich seinem Ende nähert. 2012 stand und steht die Bundeshauptstadt auf eine Weise im Zeichen des Erfolgsmalers, dass es schon nicht mehr zum Aushalten ist. Das Foto-Plakat des Künstlers mit der Katze überall. Kein Souvenirgeschäft ohne Klimts "Kuss" auf Kaffeetassen, T-Shirts, Einkaufstaschen und Regenschirmen. Sogar auf Klodeckeln. Keine Konditorei ohne Klimt-Schnitten und Klimt-Torten. Eine picksüße Spezialität aus Karamell, Nuss, Vanille und Kaffee heißt "Klimt-Nuss-Kuss". "Armer Klimt" , schreibt die "Süddeutsche Zeitung".

Aber auch armes Wien. Die Klimtomania ist nur der letzte Höhepunkt in einer permanenten Kraftanstrengung, alles, aber auch alles dem Tourismus unterzuordnen. Wobei die Zielgruppe offenbar die Allerdümmsten und die Allergeschmacklosesten unter den potenziellen Wienbesuchern sind. Die Tourismusmanager brüten sichtlich ständig über ihren Kalendern, auf der Suche nach Jubiläumsjahren, die man dann als "Schwerpunkt" auswerten, bewerben, zu Geld machen kann. Ein Mozartjahr mit ähnlichem Hype hatten wir schon, wer weiß, was noch kommen wird.

Und warum auch nicht, werden Kritiker jetzt sagen. Es rechnet sich ja. Wien hat heuer einen Gästezuwachs von acht Prozent zu verzeichnen, und Klimt hat, laut einem Markentingexperten, vermutlich zur "Vergoldung des Jahresergebnisses" beigetragen. Was soll daran schlecht sein? Warum soll man nicht mit Kunst werben? Und warum sollen Wientouristen nicht in ihren Heimatländern von den Kunstschätzen der österreichischen Hauptstadt erzählen und damit das Image des Landes verbessern? Müssen die puristischen Spielverderber denn überall ein Haar in der Suppe finden?

Weil es hier um die gnadenlose Verkitschung, Kommerzialisierung und Banalisierung von allem geht, was schön ist. Es wächst eine Generation von Kindern heran, die bei Mozart zuallererst an die klebrig-süßen Mozartkugeln denken. Man kann die "Kleine Nachtmusik" nicht mehr unbefangen hören, wenn man sie täglich und pausenlos aus der Klosettanlage der Wiener Opernpassage herausdröhnen hört. Man kann sie eigentlich überhaupt nicht mehr hören. Und Klimt, der viele schöne Landschaften und Porträts gemalt hat, ist für tausende Einheimische wie Fremde nun ein für alle Mal der Erfinder goldglitzernder Dekorationen für Bonbonschachteln. Wer einen Künstler zum Reklamemittel macht, schlägt ihn damit tot.

Die allgegenwärtige Kunstvermarktung richtet etwas an, das ihr vermutlich gar nicht bewusst ist: Sie macht jede echte und spontane Begegnung mit Kunst unmöglich. Wer als erstes die bastardisierte Kitschversion eines Kunstwerks gesehen hat, kann - anders als bei der guten Reproduktion - den überwältigenden Eindruck des Originals nicht mehr erleben. Der Unterschied ist so ähnlich wie bei Liebe und Pornografie.

Über Gustav Klimt und seine Wiederauferstehung schreibt Cathrin Kahlweit in der "Süddeutschen Zeitung": "Aus dem Tiger, der auszog, um 'der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit' zu bringen, wird ein in glitzernde Kostüme gehüllter Wiener Bettvorleger." Dem ist nichts mehr hinzufügen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 20.9.2012)