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Ein Bild von hohem Symbolwert: Der Blogger Alexej Nawalny, eines der Aushängeschilder der russischen Opposition, vor seinem Auftritt bei der jüngsten Demonstration in Moskau.

Foto: Reuters/Woskresenski

Kahlgeschoren, mit schwarzer Jacke und schwarzer Sonnenbrille steht er auf der Tribüne: "Mich erfüllt heute Wut, Wut auf diese Gauner, auf die Mörder und Banditen. Ich bin heute sehr wütend - und diese Brille ist mein schwarzer Fleck für diese Gauner und Diebe", erklärte Sergej Udalzow seinen Aufzug beim sogenannten "Marsch der Millionen" am vergangenen Wochenende mit einem Verweis auf Robert Louis Stevensons Roman "Die Schatzinsel".

Udalzow ist ein linker Oppositionspolitiker, einer der derzeit meistbeachteten, und seine Wut gilt Kremlchef Wladimir Putin und dem politischen Establishment. Das Problem ist, dass er außer seiner Wut kaum etwas anzubieten hat - und er ist damit nicht allein unter den Oppositionsführern. Ob Udalzow, Alexej Nawalny oder Ilja Jaschin: Ihre Forderungen nach einem Ende der Ära Putin und Neuwahlen sind altbekannt. Doch eigene Ideen und Konzepte sind sie der Öffentlichkeit bisher schuldig geblieben.

Unterstützung hat nachgelassen

Drei Monate hatte sich die Opposition in die Sommerpause verabschiedet, nach einer Großdemo im Juni, die noch einmal ein Aufflackern der Proteststimmung in Russland bezeugte - kräftig unterstützt vom Kreml, der ausgerechnet am Vortag die Wohnungen der Oppositionsführer filzen ließ und somit Unzufriedenheit geradezu provozierte. Drei Monate, die dazu genutzt hätten werden können, ein eigenes Programm zu entwickeln oder zumindest einen öffentlichen Diskurs über die Zukunft Russlands anzustoßen. Geschehen ist nichts.

Das Ergebnis bekam die Opposition am Wochenende präsentiert. Die Unterstützung der Proteste hat deutlich nachgelassen. In Moskau brachte der "Marsch der Millionen" objektiven Schätzungen nach wohl 30.000 bis 40.000 Menschen auf die Straße. Damit wurde nicht nur die in der Namensgebung verkündete ambitionierte eigene Zielsetzung verpasst. Es waren auch deutlich weniger Teilnehmer als früher - obwohl der Kreml mit dem harten Urteil gegen die Gruppe Pussy Riot und dem Mandatsentzug für den oppositionellen Abgeordneten Gennadi Gudkow die Daumenschrauben weiter angezogen hat.

Abgang kreativer Köpfe

Die Aktion selbst zeichnete sich ebenfalls nicht durch besondere Kreativität aus. Scharfsinnige Plakate und Aktionen fehlten. Die Losungen waren, abgesehen von ein paar neuen sozialen Forderungen, die gleichen, mit denen die Opposition schon im Winter auf die Straße ging. Die Veranstaltung habe den "Charme einer Geburtstagsfeier bei der Schwiegermutter" gehabt, fand ein Teilnehmer einen unschönen Vergleich. Dementsprechend verließen viele Demonstranten den Marsch schon wieder relativ schnell.

Das staatliche russische Fernsehen verpasste es natürlich nicht, den Misserfolg der Opposition auszuschlachten und gerade den Abgang vieler kreativer Köpfe, die noch im Winter als treibende Kraft des Protestes galten, zu thematisieren. Durch den Ausfall des Moskauer Mittelstands haben rechte und linke Gruppierungen an Einfluss gewonnen. Eine Radikalisierung des Protestes droht.

Umdenken bei Opposition gefordert

Experten fordern nun ein Umdenken bei der Opposition: "Wenn die nächste Aktion mit den gleichen Organisatoren und Losungen abläuft, kann das wirklich zu einer Krise der Opposition führen, und niemand kommt", warnte der erst vor kurzem beim Kreml in Ungnade gefallene Politologe Gleb Pawlowski.

Tatsächlich ist wohl mehr als Demonstrationen nötig, um Russland zu verändern. Die Opposition muss sich organisieren, um ihre Forderungen zu artikulieren. Nicht unbedingt in Parteien, aber in zivilen Organisationen. Sie muss schnell etwas tun, um das Zepter des Handelns wieder in die Hand zu bekommen. Schon am 14. Oktober sind in vielen russischen Gebieten Wahlen. Will die Opposition Erfolge feiern, muss sie ein Konzept vorlegen. (André Ballin, DER STANDARD, 20.9.2012)