Die Aufregung um provozierte vorzeitige Neuwahlen ist schon wieder vorbei. Wiens Bürgermeister Michael Häupl hatte zwar beglückt die Beleidigung durch den ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf aufgenommen, der das Eigentum der Österreicher vor "Dieben und Sozialdemokraten" schützen will. "Wos wollt's? Neuwahlen? Kennt's haben!" So etwa lässt sich Häupls politische Intervention auf den Punkt bringen. Die SPÖ-Bundesspitze will aber offenbar jetzt keine vorzeitigen Neuwahlen, obwohl die Ausgangslage für die Sozialdemokraten relativ gut ist: rund 30 Prozent für die SPÖ, die ÖVP und Strache in der Nähe der 20 Prozent, Grüne in einem kleinen Hoch.

Aber die Aussicht auf eine rot-grüne Mehrheit - und nur dann hätte eine provozierte Neuwahl Sinn - ist zu schwach. Solche Coups gehen leicht in die Hosen. In Wiener politikinteressierten Kreisen wird jetzt die Erinnerung an den letzten derartigen Vorfall diskutiert. Im Jahre 1995 versuchte der frischgebackene ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel mit vom Zaun gebrochenen Neuwahlen die ÖVP zur Kanzlerpartei zu machen und fiel dabei kräftig auf die Nase.

Schüssel war im April 1995 eher überraschend zum ÖVP-Vorsitzenden gewählt worden und verblüffte seine seit 1987 an die Position als Nr. 2 in der Koalition gewöhnte Partei mit dem Schlachtruf: "Mit euch will ich Bundeskanzler werden!" Dass er es ernst meinte, stellte sich dann im Herbst allmählich heraus. Bei einer Reise als Außenminister in die USA informierte er die mitreisenden Journalisten bereits über die angebliche Unmöglichkeit, mit der SPÖ und ihrem Kanzler Franz Vranitzky eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu machen (unpassenderweise wählte er dazu als Ort das Holocaustmuseum in Washington).

Von den Voraussetzungen her hielt Schüssel die Zeit für gekommen: Das große gemeinsame Projekt des EU-Beitritts war geschafft. Vranitzky büßte seine strikte Ablehnung einer Zusammenarbeit mit Jörg Haider: Sozialdemokratische Arbeiter, denen die Reform der Verstaatlichten Industrie missfiel, wanderten zur FPÖ ab. Der neue SPÖ-Finanzminister Andreas Staribacher wirkte schwach.

Schüssel glaubte, mit einem kühnen Vorgehen die relative Mehrheit erreichen zu können und hatte bei Haider wohl schon vorgefühlt. In typischer Manier benutzte Schüssel dann das Budget bzw. die Frage, ob nicht der ÖVP-Mann Johannes Ditz Finanzminister werden sollte, um die Koalition platzen zu lassen.

Die Neuwahlen am 17. Dezember gingen freilich nicht so aus, wie er erwartet hatte: Die ÖVP gewann nur ganz wenig (auf 28,3 Prozent), die SPÖ beachtlich (auf 38,1 Prozent) und die FPÖ verlor etwas (auf 21,9 Prozent). Eine schwarz-blaue Koalition wäre sich zwar immer noch ausgegangen, aber Schüssel kam damit innerparteilich (noch) nicht durch.

Sollte die SPÖ jetzt kurz überlegt haben, ob sie angesichts der Schwäche der ÖVP nicht auf eine rot-grüne Mehrheit losgehen sollte, so hat die Realität dann wohl ihr hässliches Haupt erhoben: Die Faymann-Partei ist zwar stabil auf Platz eins, aber nichts weist darauf hin, dass sie massiv zulegen könnte. Provozierte Neuwahlen wären zu riskant. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 19.9.2012)